Ex-Innnenminister Herbert Kickl ließ das Aufnahmezentrum in Traiskirchen in "Ausreisezentrum" umbenennen.

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Wien – Für eine künftige Regierungszusammenarbeit von Türkis und Grün, der aus aktueller Sicht wahrscheinlichsten Regierungskonstellation, gelten sie als die Stolpersteine gemeinhin: Bei den Themen Asyl und Migration Konsens zu erzielen wäre angesichts der hier diametralen Parteiprogramme für die Kurz'schen und Kogler'schen Verhandlungsteams ein besonderer Kraftakt, heißt es.

Dabei ist es nicht schwer, die Baustellen in diesen Bereichen zu erkennen – so man menschen- und europarechtliche Vorgaben samt der dazu existierenden Judikatur als Messlatte nimmt. Unter diesem Blickwinkel sind – neben der Frage des Umgangs mit Asylwerbern in Lehre – vor allem die künftigen Regeln für die per EU-Richtlinien vorgeschriebene Rechtsberatung und -vertretung von Asylwerbern zu nennen.

Am Tag vor Ibiza

Diese soll laut dem von Türkis-Blau am Tag vor der Veröffentlichung des Ibiza-Videos beschlossenen Gesetz über die Errichtung der Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen (BBU) verstaatlicht werden. Derzeit werden Asylsuchende im Zulassungs-, Berufungs- und Rückkehrverfahren von NGO-Experten beraten, ab 2021 sollen das Personen im BBU-Auftrag erledigen.

Damit wäre es mit der unabdingbaren Weisungsfreiheit dieser kostenlosen Beratung vorbei, wiederholten Rechtsexperten, Zivilgesellschaft, internationale Organisationen und Kirchen seit der Gesetzesbegutachtung. Sie wurden nicht gehört.

Vertragsverletzungsverfahren?

Österreich riskiere ein Vertragsverletzungsverfahren, warnte die Ex-Justizministerin und als langjährige EuGH-Richterin mit der dortigen Rechtssprechung vertraute Maria Berger (SPÖ). Angesichts einer solchen geballten Kritik sollte die BBU-Umsetzung überdacht werden.

Geplant und beschlossen wurde die BBU in einem gesellschaftlichen Klima der Flüchtlingsfeindlichkeit, gegen die weder FPÖ- noch ÖVP-Regierungspolitiker angingen, sondern die sie im Gegenteil benutzten. Sein Ziel seien "null Asylanträge", sagte Ex-Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) kurz vor dem Platzen von Türkis-Blau; kurz davor hatte er das Aufnahmezentrum Traiskirchen öffentlichkeitswirksam in "Ausreisezentrum" umbenannt: eine von vielen Anti-Asylwerber-Aktionen Kickls.

Restart bei Resettlement

Die Traiskirchen-Umbenennung nahm sein Nachfolger Eckart Ratz zurück. Doch was es nun braucht, sind viele weitere Schritte, um die flüchtlings- und ausländerpolitische Atmosphäre spürbar zu verbessern.

Diesbezüglich böten sich zwei Maßnahmen an, um sowohl innen- als auch außenpolitisch freundliche Signale zu setzen: Erstens sollte sich Österreich wieder an den Resettlement-Programmen der Uno beteiligen, im Rahmen derer Vertriebene, die vom UNHCR geprüft und als Flüchtlinge anerkannt wurden, direkt im Land aufgenommen werden: Sie erhalten hierzulande Schutz, ohne die Hilfe von Schleppern in Anspruch nehmen zu müssen.

Den Migrationspakt unterstützen

Zweitens sollte die Republik das Votum gegen den Uno-Migrationspakt widerrufen, mit dem sich Österreich Ende Oktober 2018 von der rechtlich nicht bindenden Vereinbarung zur Wahrung der Menschenrechte von Migranten lossagte.

Dem Rückzug war eine von den rechtsextremen Identitären gestartete und vom damals FPÖ-geführten Außenministerium weitergetragene Kampagne vorausgegangen. Das Kabinett von ExKanzler Sebastian Kurz war den falschen identitären Argumenten gefolgt. Hier herrscht Klarstellungsbedarf.

Aufenthaltsrecht verbessern

Verbesserungen der Lage von Migranten sind aber auch in Österreich selbst angesagt. Ein Hemmfaktor der von der Wirtschaft als unabdingbar beschworenen Einwanderung qualifizierter Menschen sind etwa die im EU-Vergleich hohen Einkommensgrenzen für Aufenthaltstitel von Drittstaatsangehörigen. Sie sollten auf ein den österreichischen Löhnen entsprechendes Niveau gesenkt werden. Und die Regeln zum Aufenthaltserwerb sollten mit Augenmaß angewendet werden – nicht, wie es in von Medien immer wieder aufgegriffenen Fällen erscheint, als Einwanderungsverhinderungsmittel. (Irene Brickner, 7.11.2019)