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Es gebe "keinerlei Koordination bei strategischen Entscheidungen zwischen den USA und ihren Nato-Verbündeten", kritisiert Emmanuel Macron.

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Paris – Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat der Nato den "Hirntod" bescheinigt. In einem am Donnerstag veröffentlichten Interview mit dem "Economist" sagte er: "Was wir derzeit erleben, ist der Hirntod der Nato." Es gebe "keinerlei Koordination bei strategischen Entscheidungen zwischen den USA und ihren Nato-Verbündeten".

"Wir sind Zeugen eines Angriffs eines anderen Nato-Partners, der Türkei, ohne Abstimmung, in einer Region, in der unsere Interessen auf dem Spiel stehen", sagte Macron zur türkischen Militäroffensive in Nordsyrien, die von Nato-Verbündeten massiv kritisiert worden war.

Kritik an Trumps Entscheidungen

Auf die Frage, ob er noch an den Bündnisfall-Artikel des Nato-Gründungsvertrags glaube, antwortete Macron: "Ich weiß es nicht." Die Nato funktioniere nur, wenn der Garant der letzten Instanz als solcher funktioniere. Man sollte die Realität der Nato angesichts des US-Engagements neu bewerten. Es gebe Anzeichen, dass die USA "uns den Rücken kehren", wie die Entscheidung von Präsident Donald Trump für einen Truppenabzug aus Nordostsyrien ohne Konsultation der Verbündeten zeige.

Der Truppenabzug hatte den Weg für die umstrittene Militäroffensive des Nato-Mitglieds Türkei gegen die syrische Kurdenmiliz YPG geebnet und die europäischen Nato-Mächte Frankreich, Großbritannien und Deutschland überrascht. Macron hatte den Schritt als einen schweren Fehler der Nato kritisiert, weil die Glaubwürdigkeit des Schutzes westlicher Partner geschwächt worden sei. Zudem argumentiert er, die Europäer sollten aufhören, im Nahen Osten als Juniorpartner der USA zu agieren.

Trump und Stoltenberg fordern mehr Militärausgaben

Trump hat wiederholt die europäischen Staaten und insbesondere Deutschland aufgefordert, mehr für die Verteidigung auszugeben. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg forderte am Donnerstag Deutschland auf, seine Verteidigungsausgaben zu erhöhen. "Ich erwarte, dass alle Bündnispartner ihren Verpflichtungen gerecht werden", sagte er bei einer Veranstaltung der Körber-Stiftung am Donnerstag in Berlin. "Und wir haben uns verpflichtet, die Verteidigungsausgaben zu erhöhen."

Auch Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel wies Macrons Nato-Kritik mit deutlichen Worten zurück: "Ich glaube, ein solcher Rundumschlag ist nicht nötig, auch wenn wir Probleme haben, auch wenn wir uns zusammenraufen müssen", sagte sie nach einem Treffen mit Stoltenberg in Berlin.

Nato-Jubiläum im Dezember

Macrons Äußerungen kommen wenige Wochen vor dem Nato-Gipfel Anfang Dezember in London. In diesem Jahr feiert das Bündnis den 70. Jahrestag seiner Gründung.

Deutsche Rolle "nicht haltbar"

Die deutsche Rolle in der Eurozone bezeichnet Macron als "nicht haltbar". "Sie sind die großen Gewinner der Eurozone, und selbst ihrer Funktionsstörungen", sagte der Präsident. "Der deutsche Apparat muss heute anerkennen, dass diese Situation nicht haltbar ist."

Als "Tabu" für die Deutschen bezeichnete Macron "die Frage der Haushaltsanreize". Frankreich hatte Deutschland angesichts der Budgetüberschüsse mehrfach zu Investitionen und zu einer Abkehr von der "schwarzen Null" aufgerufen. Bisher lehnt Berlin einen Kurswechsel aber ab.

Bei dem Interview im Pariser Elysee-Palast äußerte Macron auch Zweifel an der Dreiprozentgrenze der EU für die Neuverschuldung in den Mitgliedsstaaten: "Wir brauchen mehr Expansion, mehr Investitionen." Die Debatte über die drei Prozent gehöre "in das vergangene Jahrhundert" und erlaube es der EU nicht, sich auf die Zukunft vorzubereiten. (red, APA, 7.11.2019)