80 Jahre nach der Zerstörung dieses jüdischen Ortes ist durch das Auffinden der Räume und Gegenstände die Geschichte der Malzgasse 16 nun nicht mehr verschüttet.

Foto: Klaus Pichle

Wien – An den Wänden der einstigen Synagoge in der Malzgasse in Wien-Leopoldstadt findet sich immer noch der Brandruß der Novemberpogrome 1938. Bald danach verschwanden Teile der zerstörten Synagoge unter Schutt. Rund 80 Jahre später wurde diese Art "Zeitkapsel" durch Zufall geöffnet. Die erstaunlichen Funde werden nun ab Freitag in einer Ausstellung im Haus der Geschichte Österreich (hdgö) gezeigt.

Auf der Suche nach mehr Platz für die jüdisch-orthodoxen Talmud Thora-Schule für Knaben in der Malzgasse 16, dem Standort der früheren Synagoge, wandte sich der Vorsitzende des Betreibers des dortigen Kindergartens sowie der Volks- und Neuen Mittelschule, Arieh Bauer, Anfang 2018 einem ominösen Loch nahe dem Werksaal zu. Alte Baupläne wiesen dort auf ein Kellergewölbe hin. "Ich habe dann mit einer Kamera, wie mit einer Sonde hinein fotografiert. Das sah aus wie Marsrover-Aufnahmen", sagte Bauer bei einem Besuch des Klubs der Bildungs- und Wissenschaftsjournalisten in der Malzgasse im Vorfeld der Ausstellungseröffnung.

Vergessene Räumlichkeiten

Gefunden haben der Leiter des Tempel- und Schulvereins Machsike Hadass und Experten mit Schutt aufgefüllte, vergessene Räumlichkeiten. Hier wurde das Abbruchmaterial der im Zuge der Nazi-Pogrome zerstörten Synagoge sowie Schule gelagert. 1939 hat die Israelitische Kultusgemeinde auf Geheiß der Nationalsozialisten dann an der Stelle ein Alters- und Siechenheim gebaut und die Überreste des Nazi-Terrors wurden offenbar unter dem neuen, etwas höheren liegenden Boden quasi versiegelt.

In Absprache mit Statikern haben die Schulbetreiber händisch weiter gegraben "und dann kamen auch die ersten Fundstücke zum Vorschein, wie etwa ein Schulkalender aus dem Jahr 1929, verkohltes Holz oder ein alter Grabstein", erklärte Bauer. Schnell wurde klar, dass dies die Kapazitäten des um Platz ringenden Vereins übersteigt, da man es mit einer zeitgeschichtlich-archäologischen Stätte zu hatte. "Wir waren mit der Situation überfordert, weil es ein echtes historisches Erbe ist", sagte Bauer.

Der Schutt wurde dann bei laufendem Schulbetrieb, unter Einbeziehung der Stadtarchäologie und des Bundesdenkmalamtes abgetragen und mehrere hundert Objekte gehoben. Die spiegeln die wechselvolle Geschichte des Ortes wider, der seit ungefähr 1875 eine Talmud-Thora-Schule sowie ab Beginn des 20. Jahrhunderts eine Synagoge und ab 1912/13 auch das erste Jüdische Museum der Welt beherbergte.

Dunkles Kapitel

Sein vorläufiges Ende fand all das in der Pogromnacht auf 10. November 1938. Später trat der Standort dann im Sommer und Herbst 1942 in sein wohl dunkelstes Kapitel als "Sammellager" für Juden aus ganz Österreich ein, die von dort aus in die Vernichtungslager deportiert wurden. Bis zum Kriegsende befand sich in der Malzgasse 16 ein Krankenhaus und erst im Jahr 1956 wurde die Schule wieder eröffnet.

Mit den Funden begann auch eine intensive Auseinandersetzung mit der Vergangenheit des Standortes, im Zuge dessen die Kuratorin der nunmehrigen hdgö-Ausstellung "Nicht mehr verschüttet" (bis 19. April 2020), Birgit Johler, auch ein unmittelbar vor der Brandstiftung aufgenommenes Foto der alten Synagoge in einem Archiv fand. Geht es nach Bauers Vorstellungen, sollte dieses Gotteshaus im ursprünglichen Sinn rekonstruiert und auch die neu erschlossenen Kellerräume genutzt werden.

So würde in der Malzgasse "ein Ort mit Geschichte zum Herzeigen" entstehen, so Bauer. Die Sonderschau im Vorraum zum oftmals als "Hitler-Balkon" bezeichneten Altan der Neuen Burg am Heldenplatz soll daher auch Aufmerksamkeit bringen und etwa die öffentliche Hand auf den Fund und seine Aufarbeitung aufmerksam machen.

Historische Fragmente

"Der Fund ist wirklich sehr breit und zeigt auch die Vielseitigkeit dieses Ortes", die man nun im hdgö darstelle, sagte Johler. Zu den Highlights zählt sie etwa Teile der Lesebühne und der Uhr der damaligen Synagoge, intakt gebliebene kleine Tintenfässer aus Glas oder Fragmente von Grabsteinen aus dem 16. Jahrhundert. In die Ausstellung führt ein Film über die Ausgrabung und neben den Funden selbst wird "auch das Leben an dem Ort nach 1945 bis in die Gegenwart weiter erzählt", so die Kulturwissenschafterin, die die Objekte aus der Malzgasse auch als "Impuls für die Forschung" wertet.

Das sieht auch hdgö-Direktorin Monika Sommer so, die sich "tief berührt von dem Fund und der Ausstellung" zeigte. Solche Zufälle helfen auch dabei weiter, neue Perspektiven auf die Shoa und die Novemberpogrome aufzuzeigen und in die österreichische Geschichte einzuschreiben. Da auch noch vieles über die zahlreichen Objekte im Dunkeln liege, hofft auch Sommer auf viele folgende Forschungsprojekte. (APA, 7.11.2019)