Geht es hier wirklich um neue Grenzen und offene Rechnungen, wie es der Titel nahelegt? Oder könnte das neue Buch von Kurier-Redakteur Konrad Kramar nicht genauso gut "Offene Grenzen, neue Rechnungen" heißen? Auch diese Variante hätte ihre Berechtigung – und das umreißt auch schon das komplizierte Terrain, auf dem der Autor sich den aktuellen Problemen Europas nähert.

Konrad Kramar: "Dieses Buch vertritt keine These."
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Es ist ein Terrain, das geprägt ist von schlecht vernarbten Wunden, geschlagen von unzähligen blutigen Nationalitätenkonflikten. Viele Grenzen sind verschwunden, neue sind entstanden, wenn auch oft nur in den Köpfen. Und alte Rechnungen, einst beglichen im Namen einer einseitig interpretierten Gerechtigkeit und später umgedeutet in neue Schuldscheine, entfachen abermals nationale Leidenschaften.

Ein Puzzle

"Dieses Buch vertritt keine These", stellt Kramar gleich eingangs klar. Eher geht es ihm um ein Puzzle aus historischen Zusammenhängen und persönlichen Erfahrungen als Reporter. Entstanden ist eine "Reise durch Europa und seine unbewältigte Geschichte", die geografisch quer durch den Kontinent führt und historisch quer durch die Jahrzehnte.

So wird der Brexit eingeordnet in die lange Geschichte britischer Aversionen gegen das Festland, aber auch in die vielfältigen Spannungen zwischen den Briten selbst. Ethnische Konflikte in Kärnten kommen ebenso zur Sprache wie das Erbe der Zerfallskriege im ehemaligen Jugoslawien, die Instrumentalisierung des Trianon-Traumas in Ungarn oder die Nachwehen der wechselhaften Hegemoniegeschichte im deutsch-tschechischen Grenzland.

Unselige Rolle

Dass "das vereinigte Europa außer den Spitzenvertretern in Brüssel niemandem so recht in den Kopf gehen will", mag man als allzu pessimistischen Befund zurückweisen. Die unselige, ja übermächtige Rolle, die die Vergangenheit dabei spielt, macht Konrad Kramar aber nur allzu deutlich: "Man beansprucht, etwas zu sein, weil man etwas war." (Gerald Schubert, 7.11.2019)