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Für die Revolution im Sudan gingen Millionen Menschen auf die Straße – auch, weil der Staat ihre Bedürfnisse nicht mehr erfüllen konnte. Experte Alex de Waal sieht den Umsturz in Gefahr – nicht zuletzt deshalb, weil es den zivilen Akteuren am Zugang zu Geldmitteln fehle.

Foto: Reuters / Mohammed Nureldin Abdallah

Wien – Es sei eigentlich als eine Art sarkastische Kennenlern-Geste gedacht gewesen, erzählt Sudan-Experte Alex de Waal über sein erstes Treffen mit dem damals gefürchteten Geheimdienstchef des Landes, Salah Gosh, vor einigen Jahren. "Ich habe ihn gefragt, was denn diese Woche so der Preis für eine Miliz in Darfur sei. Zu meiner Überraschung konnte er es mir dann wirklich recht genau sagen – und auch, warum der Preis diese Woche so war, wie er war."

De Waal stellte die Episode beim Wiener Kreisky-Forum in den Kontext der Frage, wie sich die weiteren Aussichten für die demokratische Revolution im nordostafrikanischen Wüstenland gestalten. Er drängte in der Diskussion mit der Nahost- und Nordafrika-Expertin des STANDARD, Gudrun Harrer, zur Eile: Den Vertretern der zivilen Verwaltung rund um Premier Abdalla Hamdok, die nach Massenprotesten im Sommer an die Macht gekommen waren, fehle es an Finanzmitteln. Wenn sich westliche Staaten, und vor allem die USA, nicht bald auf ein Ende der bestehenden Sanktionen einigen könnten, drohe ihnen Ungemach. Denn Vertreter des alten Regimes wie Gosh hätten noch immer Zugang zu Geld – und damit auch zu Gewalt und Milizen.

Gold statt Öl – und das System kommt ins Wanken

De Waal beschrieb den Sudan vor der Revolution als ein System der ursprünglich "autoritären, aber funktionierenden Kleptokratie". Eliten um Präsident Omar al-Bashir hätten sich am Öl bereichert, Teile der Einnahmen hätten sie der Bevölkerung im Tausch gegen Loyalität zur Verfügung gestellt. Anfang der 2010er-Jahre geriet dieses System aber ins Wanken. Das Ende des Ölbooms und die fast gleichzeitigen Goldfunde in der Peripherie des Landes hätten es aus der Bahn geworfen.

Statt der bisherigen Staatsführung hätte das Gold nämlich anderen die Taschen gefüllt. Unter diesen rage der Chef der paramilitärischen Rapid Support Forces, Mohammed Hamdan Daglo, genannt Hemeti, heraus. Der Warlord aus einer zuvor marginalisierten Region des Landes habe sich mit dem Gold Loyalität innerhalb des politischen Systems erkauft und sei damit schnell aufgestiegen. In der bisher ökonomisch und sozial bevorzugten städtischen Bevölkerung sei hingegen der Unmut gestiegen, weil die Regierung um al-Bashir nur noch wenig zu verteilen gehabt habe. Ihre Vertreter seien dann am Ende auf die Straße gegangen.

Politische Macht als Handelsgut

Wie daraus bis Sommer 2019 die Stimmung für eine Revolution entstanden sei, sieht de Waal auch "als Lektion für andere Staaten", was passiere, wenn der völlig deregulierte Markt auf ausgehöhlte Institutionen treffe. Dann komme es zum Kauf von Macht: der "Antithese zu Freiheit und Demokratie", wie de Waal sagt. Das passiere etwa dann, wenn auch Dinge zu Handelsgütern würden, die nicht als Waren taugen: politischer Einfluss und wichtige Positionen hier – menschliche DNA oder mediale Aufmerksamkeit in anderen Staaten.

Im Fall des Sudan seien so die legitimen Institutionen des Staates immer mehr zum Spielball der Vermögenden geworden – und genau das habe den Aufstieg von Personen wie Milizchef Hemeti ermöglicht. "Der Sudan zeigt, was passiert, wenn bestimmte Menschen jene Fluchtgeschwindigkeit erzielen, die es ihnen erlaubt, aus der Schwerkraft der gesellschaftlichen Regeln zu entfliehen", weil sie sich die Gunst des Gesetzes und der Institutionen kaufen könnten. Das gelte vor allem dann, wenn Menschen den Eindruck hätten, sich in ihrem Handeln nicht mehr an Gesetze halten zu müssen – etwa, indem sie keine Steuern mehr zahlen.

Arme zivile Regierung

Und daran habe auch der Umsturz nur oberflächlich etwas ändern können: "Die Revolution ist unvollendet, die Gruppen der Kleptokraten sind weiter da", so de Waal, der vermutet, die alte Elite sei nur vorübergehend hinter den Vorhang getreten. Genau deshalb, so der Experte, sei es auch falsch, wenn nun Staaten wie die USA weiter Gelder für den Sudan zurückhalten – unter Verweis auf Sanktionen. Sie waren einst gegen die alte Regierung wegen staatlicher Unterstützung des Terrorismus erlassen worden.

Spätestens jetzt seien diese Sanktionen aber nicht mehr gerechtfertigt, so de Waal, und den Verantwortlichen in den USA sei das auch bewusst. Dort sei man aber übereingekommen, sie trotzdem vorerst aufrecht zu lassen, um ein Druckmittel gegen den Sudan in der Hand zu behalten. Dafür, so de Waal, "gibt es in der Wissenschaft eine technische Bezeichnung: Dumm! Es ist sehr dumm, und es macht mich wütend." Denn die Gelder, die zurückgehalten würden, fehlten nun der zivilen Regierung – während die auf Gold und Öl basierenden alten Netzwerke der früheren Machthaber diesen weiterhin Mittel zuschanzen würden. So entstehe ein Ungleichgewicht, das die Erfolge der Revolution gefährde. (Manuel Escher, 7.11.2019)