Peter Schöttel sucht die Nähe zur Mannschaft.

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Am 16. November empfängt Österreichs Fußballteam im Wiener Happel-Stadion die Auswahl von Nordmazedonien. Ein Punkt genügt, um sich aus eigener Kraft für die EM 2020 zu qualifizieren. Die abschließende Partie drei Tage später in Riga gegen Lettland wird aber in jedem Fall abgewickelt. Peter Schöttel, der Sportdirektor des ÖFB, ist zuversichtlich: "Es schaut gut aus."

STANDARD: Wie viel Macht hat ein ÖFB-Sportdirektor?

Schöttel: Das kann und will ich nicht beurteilen. Ich leite meine Abteilung.

STANDARD: War es eigentlich schwierig, in die Fußstapfen von Willi Ruttensteiner zu treten?

Schöttel: Es war einiges neu für mich, es gab sehr viele Herausforderungen, die in kurzer Zeit auf mich eingeprasselt sind. Es hat gedauert, um die Mechanismen kennenzulernen. Mittlerweile habe ich Dinge dahingehend geändert, dass sie für mich sinnvoll sind.

STANDARD: Konkret?

Schöttel: Ich habe Abläufe verändert und Aufgaben anders aufgeteilt. Dazu kamen einige wichtige Personalentscheidungen, die gepasst haben.

STANDARD: Ihre Befugnisse wurden beschnitten. Ruttensteiner war etwa auch für die Trainerausbildung zuständig. War das vorauseilendes Misstrauen Ihrer Person gegenüber?

Schöttel: Ich empfinde es nicht als beschnitten, habe das Aufgabenprofil in der jetzigen Form bekommen und versuche es, bestmöglich zu erfüllen. In puncto Trainerausbildung war es meine Bedingung, dass dieser Bereich nicht von mir geleitet wird. Ich bin mit meiner Entscheidung, Dominik Thalhammer mit dieser Aufgabe zu betrauen, richtig gelegen.

STANDARD: Sie gelten als Teamplayer, zurecht?

Schöttel: Ich arbeite immer gerne im Team, stelle mich selbst nicht in den Mittelpunkt. Die Aufgabe ist der Mittelpunkt.

STANDARD: Sie sind dem Teamchef nicht übergeordnet, müssen ihn also, sollte es extrem schlecht laufen, auch nicht beurlauben oder entlassen. Angenehm?

Schöttel: Sollte dieser Fall irgendwann einmal eintreten, werde ich als Sportverantwortlicher natürlich befragt werden. Aber die Letztentscheidung trifft und traf auch bisher immer das Präsidium.

STANDARD: Wie sieht die Bilanz der ersten zwei Jahre aus? Was hat geklappt, wo sind die Baustellen?

Schöttel: Ich konnte auf einem guten Fundament aufbauen, in jedem Bereich die nächsten Schritte machen. Was die Öffentlichkeit am meisten interessiert, ist der Erfolg des A-Teams. Da schaut es so aus, als könnten wir uns für die EM qualifizieren. Das wäre ein schöner Erfolg. Wir waren 2019 mit der U21 erstmals bei einer EM, auch die beiden U17-Auswahlen haben es zur Endrunde geschafft. In der Trainerfortbildung sind wir innovativ und kreativ. Es gelingt uns, einen eigenen Weg zu finden. Im Bereich der Talentförderung ist es allerdings notwendig, weitere Schritte zu setzen.

STANDARD: Verlieren die nationalen Verbände mit ihren teils ehrenamtlichen Strukturen nicht laufend an Einfluss? Die Musik spielt ja längst bei den großen Klubs.

Schöttel: Man muss aufpassen, dass die Nationalteams nicht in die zweite Reihe geschoben werden. Sie waren und sind wichtig. Das große Geld wird aber bei den Vereinen gemacht. Es ist logisch, dass einige keine Freudensprünge machen, wenn sie Spieler abstellen müssen.

STANDARD: Ist es sinnvoll, dass ein Verband für seine Auswahlmannschaften eine eigene, durchgehende Spielphilosophie entwickelt? Die Spieler lernen ja in Salzburg oder Leipzig etwas ganz anderes.

Schöttel: Wir haben den Ansatz, den Spieler in den Mittelpunkt des Handelns zu stellen. Wir haben klar definiert, wie wir spielen wollen: Trotzdem lassen wir unseren Trainern Freiheiten. Jeder hat seine Vorstellungen, die er einbringen soll. Es ist in der heutigen Zeit wichtig, auf dem Spielfeld flexibel agieren zu können. Die große Herausforderung für alle Teamchefs ist es, die verschiedenen Verhaltensmuster und Abläufe der Spieler in eine Form zu gießen. Es wäre falsch zu sagen, es müssen alle wie Red Bull Salzburg oder der LASK kicken. Das würde beispielsweise im A-Team auch gar nicht funktionieren, da die gemeinsame Trainingszeit knapp bemessen ist.

STANDARD: Die EM-Teilnahme ist praktisch fix. Trotzdem hat man nicht das Gefühl, dass eine Euphorie entstanden ist. Warum?

Schöttel: Ich habe keine Erklärung dafür, finde, dass die Mannschaft vernünftigen Fußball zeigt. Ich war enttäuscht über die Zuschauerzahl gegen Israel. Es kommen wohl einige Dinge zusammen. Eine gewisse Übersättigung, ein unkomfortables Stadion.

STANDARD: ÖFB-Präsident Leo Windtner fordert vehement den Bau eines Nationalstadions. Ist das auch für Sie eine absolute Notwendigkeit?

Schöttel: Es wäre schön, wenn wir eines hätten. Dieses Projekt fällt nicht unmittelbar in meinen Bereich. Für den Sport ebenso wichtig wäre ein Trainingszentrum für alle unsere Teams. Ein Kompetenzzentrum als Mittelpunkt unserer sportlichen Ausrichtung.

STANDARD: Sie sind recht nahe an der Mannschaft. Martin Hintereggger hat fast Kultstatus erreicht. Endlich ein normaler Mensch, der seinen Geburtstag zu lange feiert, den Zapfenstreich überzieht. Er ignoriert die sozialen Medien, pendelt nicht zwischen Friseur, Tätowierer und Luxuslabel. Er nimmt sogar Fans im Auto mit. Braucht der Fußball mehr Hintereggers?

Schöttel: Vemutlich. Das ist eine total interessante Geschichte. Es gibt bei den Menschen eine Sehnsucht nach Bodenständigkeit. Hinteregger stillt sie offenbar.

STANDARD: Was ist das Spezielle an der aktuellen Mannschaft? Ist es eine goldene Generation?

Schöttel: Wir haben sehr viele Spieler, die schon längere Zeit im Ausland tätig sind und Schlüsselpositionen einnehmen. Das kommt der Nationalmannschaft zugute. Das Besondere am letzten Lehrgang war die Entschlossenheit, mit der sie aufgetreten ist. Sie hat im Vorfeld Probleme und Ausfälle weggesteckt und signalisiert: Die Partie in Slowenien gewinnen wir. Und so war es.

STANDARD: Ein Verdienst von Teamchef Franco Foda?

Schöttel: Sicher auch. Ich habe den Eindruck, dass alles eng zusammengewachsen ist. Wir haben zum Auftakt der Quali von Polen und Israel Watschen bekommen, daraus wurde Kraft geschöpft. Das Gebilde funktioniert, der Flow stimmt mich zuversichtlich.

STANDARD: Muss es Ziel sein, sich für jede Endrunde zu qualifizieren?

Schöttel: Ziel ja. Aber wenn wir die vergangenen 20 Jahre durchgehen, haben wir uns nur ein einziges Mal aus eigener Kraft qualifiziert – für die EM 2016. Jetzt stehen wir kurz davor. Es sollte in Zukunft eher die Ausnahme sein, bei EM-Endrunden nicht dabei zu sein. Bei der WM ist es schwieriger. Wir müssen aufpassen, von anderen nicht eingeholt zu werden. Denn wir haben immer noch ein großes Problem: Die Infrastruktur ist verbesserungswürdig.

STANDARD: Thema Frauenfußball: Die EM 2017 löste einen kleinen Hype aus, das Interesse ist mittlerweile wieder überschaubar. Wie kriegt man das auf Schiene?

Schöttel: Es spielen in Österreich immer noch sehr wenige Mädchen Fußball, in Skandinavien beispielsweise ist das Potenzial weitaus größer. Die Überführung von den Schulen zu den Vereinen funktioniert nicht wie gewünscht. Die besten Mädchen kommen mit 14 ins Nationale Zentrum. Viele, die es nicht schaffen, hören leider auf. Ein wichtiger Input wäre, dass jeder Bundesligaklub ein Frauenteam stellt. Notfalls verpflichtend. Das würde sicher helfen. Es wäre ein Anreiz, zum Beispiel Rapidlerin sein zu können.

STANDARD: Sie waren früher Trainer. Können Sie sich vorstellen, in diesen Beruf zurückzukehren?

Schöttel: Ich habe mir abgewöhnt, irgendetwas auszuschließen. Ich bin gerne Sportdirektor und hoffentlich noch lange.

STANDARD: Fehlt Ihnen manchmal das tägliche Adrenalin?

Schöttel: Ja. Aber als Trainer hat mir manchmal die Ruhe gefehlt. (Christian Hackl, 8.11.2019)