Bernhard Url ist der Chef jener Organisation, die garantieren soll, dass das, was auf unseren Tellern landet, sicher ist. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (Efsa) beschäftigen Themen von Gentechnik bis zu Pestiziden. Bei einem Cappuccino, dessen Milchschaum der Lebensmittelexperte und Wahlitaliener für nicht ausreichend cremig hält, spricht Url über Glyphosat, Mindesthaltbarkeitsdaten und wie der Klimawandel unsere Ernährung verändert.

STANDARD: Herr Url, das Thema Glyphosat beschäftigt Europas Politik seit Jahren. Plump gefragt: Ist das Herbizid sicher?

Url: Ja, es ist für die menschliche Gesundheit sicher. Es hat aber natürlich Umweltauswirkungen, weil es eben ein Pflanzenabtötungsmittel ist. Das, wie auch Auswirkungen auf Nicht-Ziel-Organismen, muss man durch Risikominderungsmaßnahmen in den Griff bekommen.

Wenn man will, dass alles veröffentlicht wird, muss der Gesetzgeber die rechtliche Grundlage verändern, sagt Bernhard Url.
Foto: Efsa

STANDARD: Die Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC) und die Weltgesundheitsorganisation (WHO) sehen das anders. Wie kommt es zu der Diskrepanz?

Url: Die WHO hat zwei Arme, die Pflanzenschutzmittel bewerten. Das eine WHO-Gremium schätzt Glyphosat genauso ein wie wir: also nicht krebserregend. Die IARC hält das Mittel für wahrscheinlich krebserregend. Der Hauptunterschied liegt darin, dass die Krebsagentur nur auf veröffentlichte Daten schaut. Wir bei der Efsa sind verpflichtet, die veröffentlichte Literatur in Betracht zu ziehen und auch Daten, die von den Antragstellern der Industrie eingereicht werden.

STANDARD: Sind das andere Daten?

Url: Die Industrie ist verpflichtet, Daten bereitzustellen, die Regulierungsbehörden ermöglichen, eine Sicherheitsbewertung zu machen. Der Antragsteller kann sich dabei nicht aussuchen, welche Untersuchungen er macht. Das ist in Richtlinien festgelegt. Aus meiner Sicht wurde zu Recht kritisiert, dass die Daten der Antragsteller nicht vollständig veröffentlicht werden. Da verweist die Industrie auf intellektuelle Eigentumsrechte. Den Behörden muss man diese vollständig geben, nicht aber den Mitbewerbern.

STANDARD: Die Efsa wollte die Glyphosat-Daten bis vor kurzem auch nicht herausrücken. Jetzt verpflichtet sie ein Gerichtsurteil dazu. Hat Sie das verärgert?

Url: Überhaupt nicht. Wir haben am meisten lobbyiert, damit der Gesetzgeber uns einen Rechtsrahmen gibt, der uns erlaubt, so transparent wie möglich zu sein. Die Rechtsgrundlage befand sich immer im Spannungsfeld zwischen Transparenz und Schutz der intellektuellen Eigentumsrechte. In dem Gerichtsfall haben wir den Europaparlamentsabgeordneten 95 Prozent aller Daten gegeben. Hätten wir ihnen die restlichen fünf Prozent gegeben, hätten wir europäisches Recht gebrochen.

Das Greenpeace-Schildermeer gegen Glyphosat vor zwei Jahren zeigte, die Gemeinden, die damals auf das Herbizid verzichteten.
Foto: SEPA.Media | Martin Juen

STANDARD: Sollte die Veröffentlichung von Studien nicht Usus sein?

Url: Ja. Aber: Wenn Sie ein Buch schreiben, würden Sie auch nicht wollen, dass jeder das Buch kopieren und unter seinem Namen verkaufen kann.

STANDARD: Ein Buch würde meine Gesundheit wahrscheinlich in keinem Fall beeinträchtigen.

Url: Das nicht, aber Eigentumsrechte sind in der Europäischen Union eben geschützt. Wenn man will, dass alles veröffentlicht wird, muss der Gesetzgeber die rechtliche Grundlage verändern. Teilweise wurde das auch getan, und ich finde das sehr positiv. Bei Glyphosat sind wir so weit gegangen wie noch nie.

STANDARD: Schadet es der Glaubwürdigkeit von Institutionen wie der Efsa, wenn Industrieinteressen vor öffentlichen stehen?

Url: Für die Reputation der Efsa ist es nicht gut. Wir würden gern alles veröffentlichen, aber wir müssen das geltende Recht einhalten. Das wäre so, wie wenn Sie sagen: Die Straßenverkehrsordnung interessiert mich nicht, und ich fahre jetzt links.

STANDARD: In den USA wird Bayer mit Glyphosat-Klagen überhäuft. Gibt das Anlass zur Sorge?

Url: Meine Sorge ist das nicht, sondern die von Bayer. Das spielt sich in einer ganz anderen Sphäre ab. Da geht es um das amerikanische Rechtssystem, wo 47.000 Mitkläger über Werbekampagnen gefunden wurden. Das ist keine wissenschaftliche Diskussion. Da gibt es Betroffene, die sagen: 'Ich bin krank, und ich glaube, dass das durch Glyphosat verursacht wurde' – und sie schließen sich dieser Klage an.

STANDARD: Solche Nachrichten könnten aber auch europäische Verbraucher verunsichern.

Url: Natürlich ist das nicht auszuschließen. Ich sehe da aber mehrere Ebenen: die wissenschaftliche Diskussion, die rechtliche und die politische. Was hier schiefgegangen ist, ist, diese Sphäre der evidenzbasierten Wissenschaft und die der wertebasierten Politik nicht sauber zu trennen. Das ist auch für die Efsa ein Problem.

STANDARD: Im Jänner wurde das deutsche Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) dafür kritisiert, im Glyphosat-Gutachten wortwörtlich von Monsanto abgeschrieben zu haben. Wie stehen Sie dazu?

Url: Das ist einer der unsinnigsten Vorwürfe, die ich je gehört habe. Die Antragsteller müssen neben Industriestudien auch eine Übersicht der wissenschaftlichen Literatur der vergangenen zehn Jahre erstellen. Deutschland hat diese Übersicht geprüft und geschaut, ob sie das Original ordnungsgerecht widerspiegelt. Laut BfR haben Monsanto und 23 weitere Unternehmen das wahrheitsgetreu zusammengefasst. Diese Zusammenfassung wurde dann in den BfR-Bericht übernommen, um sie in die nachfolgende Risikobewertung einzubeziehen. Natürlich haben sie das nicht neu eingetippt. PR-mäßig haben die Glyphosat-Kritiker das schön hingebracht. Uns ist es nie gelungen, das geradezurücken.

Die Kärtner preschten vor mit der Idee eines generellen Verbots. In Kraft ist jetzt ein teilweises Anwendungsverbot.
Foto: APA/GERT EGGENBERGER

STANDARD: Was halten Sie von dem Verbot in Österreich?

Url: Wenn das gewählte Vertreter im Parlament beschließen, ist das ihr gutes Recht. Man muss sich allerdings ein paar Fragen stellen: Was heißt das für Landwirte? Was werden die jetzt verwenden? Sind die Produkte, die jetzt anstelle von Glyphosat verwendet werden, gefährlicher oder weniger gefährlich?

STANDARD: Ist Bio eine Alternative?

Url: Im Jahr 2050 sollen zehn Milliarden Menschen auf diesem Planeten leben – die wollen alle etwas essen und anziehen. Wenn man den Planeten dabei im Sinne von Biodiversität und Klima nicht ruinieren will, ist das eine unglaubliche Herausforderung für die Landwirtschaft. Es sind viele Maßnahmen notwendig: Wir müssen Lebensmittelverschwendung vermeiden, unsere Ernährungsweise und landwirtschaftliche Praktiken verändern. Für eine globale Perspektive ist Bio nicht die Lösung.

STANDARD: Sondern?

Url: Wir müssen die Vorteile von biologischer Landwirtschaft – nämlich Bodengesundheit, Artenvielfalt und Biodiversität – mit Vorteilen der konventionellen Landwirtschaft – hohe Erträge – kombinieren. Das nennt man nachhaltige Intensivierung. Wir müssen pro Quadratmeter Boden mehr Kalorien erzeugen und dürfen dabei nicht die Umwelt ruinieren.

Das Bevölkerungswachstum stellt die Landwirtschaft künftig vor große Herausforderungen, sagt Url.
Foto: APA/AFP

STANDARD: Stichwort Umwelt: Wie wird sich die Klimakrise auf die Lebensmittelsicherheit in Europa auswirken?

Url: Da gibt es direkte Auswirkungen, etwa durch erhöhte Temperatur, starke Niederschläge und Unwetter. Außerdem wird es Auswirkungen auf Mikroorganismen geben – also Bakterien, die zwischen Mensch und Tier ausgetauscht werden, Salmonellen zum Beispiel. Auch die erhöhten Temperaturen der Ozeane verändern einiges: Thunfische nehmen zum Beispiel mehr chemische Kontaminationen auf. Außerdem gelangen Algen in europäische Gewässer, die es bisher nur in der Karibik gab und die Toxine bilden. Derzeit sind sie in Europa noch selten, sie können beim Menschen aber schwere Krankheiten auslösen.

STANDARD: Glauben Sie, dass wir unsere Ernährung umstellen werden?

Url: Ja. Wir sind bei der Efsa auch für neuartige Lebensmittel zuständig und haben derzeit fünf oder sechs Anträge für Insekten als Futter- und Lebensmittel in Bearbeitung. Insekten sind aber eher ein kulturelles Thema. In Asien sind sie bereits gang und gäbe. Man kann sie aber auch als Proteinquelle für Tierfutter verwenden – das kommt sicher. (9.11.2019)