Überfüllte Züge in der Stoßzeit, Verspätungen oder kurzfristige Zugausfälle bescheren vielen Pendlern viel Ärger.

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Bei leidgeprüften Öffi-Benützern stößt der Ruf aus Niederösterreich nach einem Großtunnel zwecks Erweiterung des Wiener Schnellbahnnetzes auf offene Ohren. Kaum jemand leidet nicht unter überfüllten Zügen in der Stoßzeit, Verspätungen oder kurzfristigen Zugausfällen, die bisweilen notorisch erscheinen. Doch ist der Bedarf nach Tunnelbohrungen, und milliardenschweren Investitionen tatsächlich gerechtfertigt?

Die Entwicklung der Pendlerströme und bereits in Bau befindliche Erweiterungen lassen Zweifel am Bedarf aufkommen, legen sogar den Verdacht nahe, dass der Vorstoß nicht primär vom Streben nach stetiger Verbesserung des bestehenden Verkehrsangebots getragen ist, sondern vom Wunsch, den Bund (im Wege der ÖBB) zu Investitionen zu animieren. Denn Verkehrswirtschafter sehen insbesondere im bestehenden Schnellbahnnetz mit seiner Stammstrecke zwischen Wien-Meidling und Floridsdorf (siehe Grafik) jede Menge Potenzial, das es auszuschöpfen gilt.

  • Taktverdichtung Das Drei-Minuten-Intervall, in dem S-Bahn-Züge in der Hauptverkehrszeit (Früh- und Abendverkehr) unterirdisch durch die Stadt geschleust werden, ließe sich auf zweieinhalb Minuten verkürzen, rechnen Verkehrswirtschaftler vor. Auf einem anderen Blatt steht, wer finanziell für den Mehrbedarf an Zugverbindungen aufkommt. Von der ÖBB kommt diesbezüglich keine Aktivität, denn zuständig sind dafür die Bundesländer, also Niederösterreich und Wien. Sie teilen sich die Kosten für Pendlerzüge. Laut Gesetz für den Öffentlichen Personennah- und Regionalverkehr (ÖPNRV-G) finanziert das Verkehrsministerium nur das Grundangebot, also den aktuellen Dreiminutentaktverkehr. Bis 2029 sind dafür im Bundesvoranschlag elf Milliarden Euro eingestellt.
  • Signalanlagen Der Bund kommt bei einer weiteren Taktverdichtung wieder ins Spiel, denn dafür bräuchte es neue Signalanlagen auf der ÖBB-Stammstrecke, die kürzere Abstände zwischen den Zügen ermöglichen. Die Punktförmige Zugbeeinflussung (PZB) müsste mit dem EU-Zugsicherungssystem ETCS, zumindest aber auf Linienzugbeeinflussung (LZB) aufgerüstet werden. ÖBB-Chef Andreas Matthä hält den Einbau einer Geschwindigkeitsprüfeinrichtung für nützlicher, der in Planung sei.
  • Nadelöhr Rennweg Bei aller Netz- und Taktverdichtung bleibt ein Nadelöhr: der Bahnhof Rennweg. Hier rächt sich der Rückbau von drei- auf zweigleisig in den 1990er-Jahren, seither fehlen Trassen für die Einbindung der Flughafenschnellbahn. Hinzu kommt jede halbe Stunde der City Airport Train (Cat), der ebenfalls eine Trasse braucht und so eine Verdichtung der S7 auf Viertelstundentakt bis Wolfsthal verunmöglicht. Wiewohl es Cat-Hälfteeigentümer Flughafen und ÖBB nicht gern hören: Verkehrsplaner wie der "Arbeitskreis öffentlicher Verkehr" hätten sogar dafür eine pragmatische Lösung: Die Übernahme des Cat ins S-Bahn-Netz bei gleichzeitiger Verlängerung bis Floridsdorf (oder weiter) und Wolfsthal. Profitieren würden die Fahrgäste, sie bekämen den vor 25 Jahren versprochenen Viertelstundentakt auf der S7.
  • Pottendorfer Linie Ab 2024 sollte die Entlastung der Südbahn wirken, Schnellzüge nach Wiener Neustadt werden über die Pottendorfer Linie geführt, und so wird S-Bahn-Kapazität bis Mödling frei.

"Wir brauchen keine weitere S-Bahn-Stammstrecke", stellt der ÖBB-Chef im Gespräch mit dem STANDARD klar. "Es geht vor allem darum, Projekte zu forcieren, die bereits auf dem Tisch liegen und für Anbindung an die U-Bahn sorgen." Der Lückenschluss Marchegg-Aspern-Meidling (über den Hauptbahnhof) bis Hütteldorf ist in Arbeit inklusive Umweltprüfung für die Verbindungsbahn S80 Meidling-Speising-Hütteldorf.

Einen Etappensieg hat die Westbahn errungen: Der Verwaltungsgerichtshof lässt die Höhe der Schienenmaut vom Bundesverwaltungsgericht neu berechnen. (Luise Ungerboeck, 10.11.2019)