Johann Hagenhofer, Werner Sulzgruber, Carl Dressel
Eine versunkene Welt

Jüdisches Leben in der Region Bucklige Welt – Wechselland
Kral-Verlag 2019
288 Seiten, 29,90 Euro

Foto: Kral Verlag

St. Pölten – In den vergangenen Jahren sind immer mehr und immer genauere Bücher erschienen über die einstige Fülle des jüdischen Lebens in Österreich. Der historische Fokus hat sich von der Menschheitskatastrophe der Shoah erweitert. Die jüdische Geschichte ist vielerorts zum unverzichtbaren Bestandteil der Heimatkunde geworden. Ohne Juden sind sehr viele Ortsgeschichten nicht erzählbar.

Geradezu prototypisch für diese Sicht ist das Buch "Eine versunkene Welt. Jüdisches Leben in der Region Bucklige Welt – Wechselland". Es ist das Ergebnis eines Forschungsprojekts, das von drei renommierten Historikern – Johann Hagenhofer, Gert Dressel, Werner Sulzgruber – geleitet, aber von einem 21-köpfigen Team getragen wurde, das sich, schreiben die drei Autoren, "aus lokal ansässigen und historisch engagierten Heimatforscher/innen zusammensetzte". Dig where you stand – dem Motto der Oral History folgen alle Beiträge.

Unterschiedliches Leben

Das Buch erzählt, reich bebildert, von 26 Gemeinden der Region. Und es erzählt, wie unterschiedlich dieses jüdische Leben im südöstlichsten Winkel Niederösterreichs einst gewesen ist. Da gab es den Hausierer Heinrich Winkler aus dem ungarischen Kobersdorf, der sich 1870 in Hochwolkersdorf mit seiner Familie niederließ, die hier bis 1938 als Kauf- und Wirtsleute tätig war, ebenso wie etwa den Leopold Abeles, der in Erlach – heute Bad Erlach – eine Spinn- und Webfabrik angesiedelt hat.

Und nicht zuletzt war der Wechsel, der kleinere Bruder des Semmerings, eine nicht zu unterschätzende Sommerfrische. Carl Djerassi, der Vater der Pille, verbrachte in Kirchberg seine Kindheitssommer; Eric Kandel, der spätere Nobelpreisträger für Medizin, die seinen in Mönichkirchen.

Strudel der Shoah

Entsprechend vielfältig, teils gegensätzlich gestaltete sich das jüdisch-religiöse Leben. Juden – jene, die der modernen Welt mit teils trotzigem Beharren aufs Althergebrachte begegneten – lebten neben den Israeliten, die, den Taufscheinchristen nicht unähnlich, bloß Mitglieder der Israelitischen Kultusgemeinde waren. Oder nicht einmal mehr das. 1938 aber wurden, der kruden Rassenlehre folgend, unterschiedslos alle in den Strudel der Shoah gestürzt – in die Emigration oder den Tod in den Vernichtungslagern.

Am 13. November um 18.30 Uhr wird das Buch und das dahinterliegende Projekt, aus dem ein eigenes, kleines Museum werden soll, im großen Jüdischen Museum in der Wiener Dorotheergasse vorgestellt. (Wolfgang Weisgram, 11.11.2019)