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Extraterritoriale US-Sanktionen treffen nicht nur Unternehmen und deren Mitarbeiter in Russland, sondern auch Unternehmen in Europa.

Foto: Reuters / Maxim Shemetov

Immer öfter greifen die USA als außenpolitisches Druckmittel gegenüber Staaten wie den Iran, Kuba oder Russland zu extraterritorialen Sanktionen, die auch für Nicht-US-Unternehmen gelten.

Zuletzt wurden Anfang November die US/Iran-Sanktionen verschärft. Die USA wollen so verhindern, dass die Geschäftstätigkeit ausländischer Unternehmen die Wirksamkeit der Restriktionen untergräbt. Extraterritoriale Sanktionen sind allerdings vor allem in Europa umstritten – und beschäftigen auch europäische Gerichte.

In einem bemerkenswerten Urteil hat der britische High Court jüngst einen Kreditvertrag so ausgelegt, dass einzelne vertragliche Pflichten aufgrund extraterritorialer US-Sanktionsrisiken nicht erfüllt werden müssen.

Er entschied dabei zugunsten des britischen Kreditnehmers, der sich weigerte, Zinsen für ein Darlehen zu zahlen, weil der wirtschaftliche Eigentümer des Kreditgebers nach Abschluss des Darlehensvertrags auf eine US-Sanktionsliste gesetzt worden war.

Sekundäre Sanktionen

Die britische Gerichtsentscheidung trifft zwar keine Aussage zur völkerrechtlichen Einordnung und Anerkennung von extraterritorialen US-Sanktionen. Indirekt hat sie diese aber offenbar als zwingendes Recht für die beteiligten europäischen Unternehmen anerkannt.

Während primäre US-Sanktionen grundsätzlich nur anwendbar sind, wenn etwa US-Personen/ -Unternehmen, US-Dollar-Zahlungen oder US-Güter involviert sind, verbieten extraterritoriale – oder sekundäre – Sanktionen auch bestimmte Geschäfte ohne jeglichen US-Bezug, und zwar für jeden.

Auch europäische Personen und Unternehmen können durch ihre Geschäftsbeziehungen mit sanktionierten Personen oder Staaten solche US-Sanktionen verletzen. Die Konsequenzen können gewichtig sein: der Ausschluss des beschuldigten Unternehmens vom US-Kapitalmarkt, die Verweigerung von US-Exportlizenzen, der Ausschluss von der Teilnahme an US-Vergabeverfahren und in schwerwiegenden Fällen sogar eine Aufnahme in die US-Sanktionsliste.

Zinszahlung verweigert

Der britische Kreditnehmer verweigerte die Zahlung von Zinsen offenbar mit dem Argument, dass dies von der US-Sanktionsbehörde als verbotene Transaktion mit dem russischen Eigentümer angesehen werden könnte.

Er berief sich dabei auf eine Klausel im Kreditvertrag, wonach Kreditnehmer nicht in Verzug geraten würden, wenn eine Zahlung wegen Einhaltung zwingender Rechtsvorschriften verweigert wird. Die extraterritorialen US-Sanktionen seien eine solche Rechtsvorschrift und ihre Einhaltung folglich von der genannten Klausel gedeckt.

Der Kreditgeber beharrte auf einen Zahlungsverzug und scheiterte damit vor dem High Court. Dieser argumentierte, dass die weite Formulierung der Klausel darauf abziele, den Kreditnehmer vor sämtlichen Risiken zu schützen, gegen ein ausdrückliches oder implizites Zahlungsverbot zu verstoßen. Dies umfasse auch US-Sanktionsrisiken.

Präzedenzwirkung des Urteils

Obwohl sich die Aussagen des Gerichts auf die Interpretation der Kreditvertragsklausel beschränken, könnten die Folgen doch bemerkenswert sein. Die Gültigkeit extraterritorialer US-Sanktionen gegenüber Nicht-US-Unternehmen ist völkerrechtlich nämlich höchst umstritten. Wissenschafter, Praktiker und Gerichte außerhalb der USA stellen die Legitimität, Verbindlichkeit und Durchsetzbarkeit solcher Maßnahmen regelmäßig infrage.

Das Urteil bindet andere europäische Gerichte zwar nicht, aber es könnte Präzedenzwirkung entfalten. Eine allgemeine Anerkennung von extraterritorialen US-Sanktionen als verbindliches Recht für Nicht-US-Unternehmen könnte weitreichende Folgen auf Finanzierungsverträge oder Unternehmenskaufverträge ohne US-Bezug haben.

So könnten die Reichweite von Garantie-/Gewährleistungszusagen, Ausnahmen von Leistungsverpflichtungen der Parteien oder außerordentliche Beendigungsrechte betroffen sein.

Eine generelle Anerkennung der extraterritorialen US-Sanktionen birgt auch ein hohes Risiko, dass beteiligte Parteien mit anderen (europäischen) Gesetzen in Konflikt geraten. Dies wäre vor allem in Fällen relevant, in denen nationale oder europäische Gesetze wie die EU-Blocking-Verordnung, die auf US-Sanktionen gegen Kuba und Iran abzielt, die Einhaltung von extraterritorialen US-Sanktionen gerade bewusst verbieten.

Eine solche Konstellation lag im hier behandelten Fall (noch) nicht vor: Das letzte Wort zu dieser juristisch und politisch spannenden Frage ist also noch nicht gesprochen. (Stephan Denk, Lukas Bauer, Iris Hammerschmid, 11.11.2019)