In "Zustand und Gelände" geht es um Erinnerung und Gedenkkultur.

Foto: Filmfestival Duisburg

Das Thema: die Industrialisierungswelle in den Vereinigten Staaten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Das Verfahren: nach Schauplätzen der Vergangenheit suchen; dazu eine Chronik der Ära entwerfen, die auch von kollektiven Anstrengungen gegen Kapitalismus und für Arbeiterrechte kündet. Panik von 94 von Gerhard Friedl ist ein Film, den man bei der Duisburger Filmwoche gern gesehen hätte. Es handelt sich um ein Projekt des 2009 verstorbenen österreichischen Filmemachers, das er nach einer Forschungsreise in die USA abzubrechen beschloss.

Er war zu der Auffassung gelangt, dass es zu wenige konkrete Anhaltspunkte in der von ihm besuchten Landschaft gäbe. Eine Entscheidung, die man auch als Beispiel von Arbeitsethos verstehen muss: Manchmal gewinnt die Skepsis. Anlässlich der Präsentation von Volker Pantenburgs Buch (Synema, Edition Filmmuseum) über Gerhard Friedl lasen mehrere Autoren aus den Protokollen des Projekts. Friedl hatte in Duisburg 2004 Hat Wolff von Amerongen Konkursdelikte begangen? zur Aufführung gebracht, bis heute einer der klügsten Filme über die Allianzen von Kriminalität und Großkapital. Ein nur vorgelesener Film passt aber gut zur Duisburger Filmwoche, da unter der Leitung von Gudrun Sommer und Christian Koch an der bewährten Diskussionskultur festgehalten wird.

Nach jedem Film gibt es Gespräche mit den Filmschaffenden, bei denen neuerdings stärker Verfahrensweisen im Vordergrund stehen. Auch heimische Autoren wie Christiana Perschon (Sie ist der andere Blick) und Sebastian Brameshuber waren dabei, dessen Bewegungen eines nahen Bergs mit dem 3sat-Preis prämiert wurde.

Heimat als Raum

Die jüngere Geschichte Deutschlands war im Wende-Jubiläumsjahr gleich mehrfach Thema der Filme. Zwei Autoren holten noch weiter aus, indem sie sich auf den Übergang von einem Unrechtsregime zum nächsten, von der Nazi-Diktatur in die DDR, bezogen. Thomas Heises Heimat ist ein Raum aus Zeit (gerade in Österreich im Kino) spiegelt den Zugriff des Staates auf Personen und Familie wider, wogegen es in Ute Adamczewskis Zustand und Gelände um Erinnerungspolitik und Gedenkkultur geht. Sie beschäftigt sich mit frühen oder auch "wilden" Lagern, die Nazis nach der Machtergreifung in Baustrukturen wie Gaststätten, Vereinen und städtischen Institutionen errichtet hatten – oft, um den politischen Gegner auszuschalten.

Die Spurensuche in Sachsen gestaltet sich schwierig. Stefan Neuberger, der auch Heises Film fotografiert hat, vermisst Plätze in Totalen, ruhigen Schwenks, manchmal auch mit der Handkamera; die Spannung des Films entsteht in der Lücke zwischen Tondokumenten und Bildern, aus denen die Vergangenheit (fast wie bei dem Projekt von Friedl) aufgrund baulicher Umwidmungen zu verschwinden droht. Was bleibt, sind Gedenktafeln und Monumente, die immer undifferenzierter werden: Einmal wird pauschal an jede Form von Gewaltregime gedacht.

Schleichende Wandel

Einen schleichenden Wandel zu dokumentieren, der nur mit der nötigen Insistenz festgehalten werden kann, war heuer eines der wiederkehrenden Themen in Duisburg. Bernd Schoch befasst sich in seinem mit dem Arte-Preis ausgezeichnetem Film Olanda mit rohkapitalistischen Auswüchsen rund um Pilz- und Beerensammler in den rumänischen Karpaten. Mit großen Körben auf dem Rücken marschieren diese durch Wälder; auf den Straße warten die Zwischenhändler, die mit stark schwankenden Preisen handeln.

Abgesehen von einer experimentellen (Magic-Mushroom-)Sequenz begleitet Schochs Film den Arbeitsalltag seiner Tagelöhner mit. Die Modrigkeit der Umgebung kriecht auch dem Zuschauer in die Glieder. Der Film zeigt, wie ein Ausbeutungssystem in einen traditionellen Bereich hineindrängt, der sich der Planwirtschaft eigentlich verweigert.

Ein Gegenmodell dazu sieht man in Laura Coppens' Taste of Hope, der von einer Schweizer Fabrik handelt, die nach einem genossenschaftlichen Modell geführt wird. Die Widersprüche zwischen einem Arbeitsansatz, bei dem keiner zurückfallen soll, und den Direktiven des Marktes bleiben aber auch da ungelöst. Coppens, eine Anthropologin, erzählte, sie wollte sich mit einem positiven Beispiel befassen. Das macht den Film etwas zu komplizenhaft. Seine Botschaft lautet, es gehe auch anders. Geht es denn? (Dominik Kamalzadeh aus Duisburg, 11.11.2019)