Beobachtet man in einem ruhigen Moment die Natur, dann sieht man schnell mit welcher Urdynamik Pflanzen und Tiere dem Lauf des Lebens folgen und sich ihren Weg bahnen. Eine Kraft, der sich nichts und niemand entziehen kann. Gegen die Natur, auch die der Menschen, kommt man nicht an. Die SPÖ versucht in sogenannten "Zukunftslabors" mit der Hilfe von Intellektuellen, Künstlern und Wissenschaftern an einer positiven Perspektive für die Bewegung zu arbeiten. Das Ganze hat nur einen Haken – Labor und Zukunft ist ein Widerspruch in sich. Was im Labor untersucht wird, ist oft schon Vergangenheit. Unabhängig davon lehrt uns die Sozialwissenschaft, dass man in Laborexperimenten den Einfluss von Störvariablen zu kontrollieren versucht, indem Umgebungsbedingungen und andere Faktoren möglichst konstant gehalten werden. Aufgrund dessen sind diese hochgradig künstlich.

Autopsie der Sozialdemokratie

Feldstudien lassen im Gegensatz zu Laborbedingungen eine größere Variation von Einflussfaktoren zu und haben daher den Vorteil einer höheren ökologischen Validität sprich Realitätsnähe. Genau das ist das, was der Sozialdemokratie heute fehlt. Sich selbst wieder mit Gleichgesinnten im Labor einzubunkern und den psychodynamischen Selbstschutzmechanismen Abwehr, Verdrängung und Kompensation freien Lauf zu lassen, wird nicht zu den gewünschten Konsequenzen führen. Außer die SPÖ will eine Autopsie an sich selbst durchführen, dann ist das Labor das richtige Setting. Denn während die SPÖ in Zirkelschlüssen zu den altbewährten Erkenntnissen von der Gefahr von rechts bis hin zur Kapitalismuskritik kommt, dreht sich die Welt draußen weiter und die anderen politischen Kräfte sind bereits im Feld unterwegs.

Für die steirische Landtagswahl wird Zukunft plakatiert - gelebt wird sie in der Partei nicht.
Foto: APA/INGRID KORNBERGER

Ende der Feldabhängigkeit

Es mutet fast so an, als wäre die SPÖ im kognitiven Stil der Feldabhängigkeit gefangen. Feldabhängigkeit zeichnet sich durch einen relativ undifferenzierten Prozess der Informationsverarbeitung aus, wodurch beispielsweise das Trennen von Gedanken und Gefühlen weniger gut gelingt. Die Folge ist eine stärkere Tendenz zu wunschhafter Realitätswahrnehmung und dem Übersehen missliebiger Reize. Die traditionsreiche Bewegung scheint sich in geschützter Atmosphäre in Laborbedingungen lieber mit sich selbst zu beschäftigen, als der Realität in der Interaktion mit den Bürgern ins Auge zu sehen. Dabei wäre genau dies die Lösung für ihre Probleme. Das wusste schon der politische Marathon-Mann Jörg Haider. Durch das offene Gespräch erzählen einem die Menschen jene Geschichte, nach der die Sozialdemokratie so sehnsüchtig sucht. Ganz frei Haus ohne große Kapazunder aus Wirtschaft, Wissenschaft und anderen Sektoren zu bemühen, die vielleicht, wie jeder von uns, in ihrer eigenen Welt der eingeschränkten Wahrnehmung leben.

Im "Infight" mit dem Wähler besteht die Chance wieder zur Projektionsfläche für Lebensfreude und einer positiven Zukunft zu werden. Dazu benötigt es aber ein gewisses Quantum an Mut, um das eigene mentale Schneckenhaus zu verlassen und sich unangenehmen Wahrheiten zu stellen. Eben jene Form der Konfrontationstherapie wäre für die verletzte Seele der Sozialdemokratie mehr als heilsam. Wie in der Natur Pflanzen ihre Bahn durch den Asphalt finden, so sollte sich die SPÖ ebenso vom eigenen geistigen Beton befreien, damit sich am Ende nicht die Aussage des bayerischen Jahrhundertpolitikers und Homo Politicus Franz Josef Strauß bewahrheitet, welcher einmal meinte: "Irren ist menschlich, aber immer irren ist sozialdemokratisch." Ansonsten muss das Alte zwangsläufig dem Neuen weichen. Das ist der Kreislauf des Lebens. (Daniel Witzeling, 18.11.2019)

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