Wahlberechtigt oder nicht? Schwammige Gesetze machten das Stimmrecht bei der niederösterreichischen Landtagswahl zur Lotterie – das wiederholt sich bei der Gemeinderatswahl.

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Im Jahr 2017 war Retz beim Wahlrecht noch rigoros. 350 der insgesamt 850 Bürger mit Nebenwohnsitz hat die Stadt im Weinviertel damals aus dem Wählerverzeichnis für die Landtagswahl gestrichen. Ein neues Gesetz verlangte, dass der Bürgermeister prüft, ob Zweitwohnsitzer auch tatsächlich in der Gemeinde integriert sind – nur dann sind sie wahlberechtigt.

Nun stehen in Niederösterreich wieder Wahlen an: Am 26. Jänner 2020 werden neue Gemeinderäte gewählt. Rein rechtlich gelten für Nebenwohnsitzer die gleichen Regeln: Nur wer im Ort verankert ist, darf wählen. Doch diesmal nimmt es Retz nicht so genau. Man habe "nichts zu korrigieren", erklärt Bürgermeister Helmut Koch (ÖVP) dem STANDARD: Wer bei der Landtagswahl 2018 wahlberechtigt war, ist es jetzt auch. Und die wenigen Nebenwohnsitzer, die seitdem dazugekommen sind, habe man ungeschaut in die Evidenz übernommen.

Damit dürfte sich das Durcheinander wiederholen, das in Niederösterreich vor der Landtagswahl im Jänner 2018 stattgefunden hat. Denn die Prüfung der Nebenwohnsitzer nahmen manche Bürgermeister sehr genau, andere gar nicht: Gemeinden wie Annaberg, Berndorf oder eben Retz strichen etliche Bürger aus der Liste, Städte wie St. Pölten dagegen keinen einzigen. Amtsleiter beschwerten sich damals auch über den massiven Verwaltungsaufwand, den das Gesetz mit sich bringe.

ÖVP wollte Gesetz reparieren

Vor der Landtagswahl verteidigte die ÖVP, aus deren Feder das Gesetz wie jedes andere in dem Bundesland stammt, die Reform noch vehement: Schließlich war mit dem Wahlrecht für Zweitwohnsitzer in der Vergangenheit oft Schindluder getrieben worden, das sei nun abgestellt.

Nach der Wahl wurde der Reparaturbedarf bei der Neuregelung dagegen eingestanden. Bei einer Klubklausur beschloss die Partei von Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner, Rechtssicherheit zu schaffen. Vorbild sollte das Modell des einzigen anderen Bundeslands sein, in dem Nebenwohnsitzer überhaupt wahlberechtigt sind: das Burgenland. Dort müssen Bürger mit Zweitwohnsitz einen Fragebogen ausfüllen, der ihren Bezug zur Gemeinde belegen soll. Bis zur Gemeinderatswahl 2020, so die niederösterreichische Volkspartei, sollen die neuen Regeln umgesetzt werden.

Allein: Das ist nicht passiert. Für die angekündigte Reform hätte es eine Zweidrittelmehrheit gebraucht, die die Volkspartei de facto nur mit der SPÖ zusammenbringt. Doch mit der wurde man sich nicht einig. Das Ergebnis: Alles bleibt, wie es ist.

Grüne drohen mit Anfechtung

Den großen Aufwand müssen Städte und Gemeinden nun aber nicht mehr betreiben: Durch die teils umfangreichen Streichungen aus der Wählerevidenz vor der Landtagswahl gelten die Listen als bereinigt. Theoretisch müssen Bürgermeister nun laufend prüfen, welche Nebenwohnsitzer in ihrer Gemeinde so weit Fuß gefasst haben, dass sie wahlberechtigt sind – und sie streichen, falls die Voraussetzungen nicht mehr erfüllt sind. Am Montag müssen die Wählerverzeichnisse für fünf Werktage auf den Gemeindeämtern aufliegen, Einsprüche dagegen können bis zum 21. November eingebracht werden.

Das Wirrwarr beim Wahlrecht für Nebenwohnsitzer macht die Grünen schon hellhörig. Sie hatten bereits 2018 angedroht, die Landtagswahl deswegen anzufechten. Und "im Unterschied zu damals können wir uns bei der Gemeinderatswahl eine Anfechtung in einer Gemeinde leisten", sagt Landesparteichefin Helga Krismer dem STANDARD.

Einer möglichen Anfechtung hatten von den Grünen beauftragte Anwälte damals gute Chancen ausgerechnet. Nur wegen der maroden Parteifinanzen hatte sich Krismer dagegen entschieden. Heute sagt sie, man werde Ungereimtheiten bei der Gemeinderatswahl prüfen lassen – und "wenn das ähnlich gelagert ist wie bei der Landtagswahl, werden wir den Rechtsweg beschreiten". (Sebastian Fellner, 11.11.2019)