Im bosnischen Migrantencamp in Vučjak hat sich über die Sommermonate viel Müll angesammelt.

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Im Winter bieten die Zelte, die von einer türkischen Hilfsorganisation zur Verfügung gestellt wurden, zu wenig Schutz vor Nässe und Kälte.

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Einige Migranten backen ihr eigenes Fladenbrot.

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Andere stellen sich an, um Essenspakete zu erhalten.

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Ein paar Männer sitzen unter einem Vordach und backen auf schwarzen Kochplatten ein dünnes Fladenbrot, aus dem immer wieder Hitzeblasen aufplatzen. Auch Süßspeisen werden hier im beißenden Rauch des offenen Feuers serviert. Die anderen stehen Schlange und warten auf die Essenspakete, die gerade ausgeteilt werden. Drei Männer sind gerade aus den Bergen zurückgekehrt. Sie waren heute Nacht an der Grenze, beim "Game" wie alle den Versuch nennen, an den kroatischen Grenzbeamten vorbeizuschleichen.

Einer hat nur mehr einen halben Zahn, der andere Blutergüsse auf dem Oberarm. "Das waren die kroatischen Grenzpolizisten, die uns geprügelt haben", erzählen die beiden. Die Grenze liegt einen Tagesmarsch entfernt. Einige unter den etwa 600 Männern in Vučjak haben sich bereits rund 40-mal zum "Game" aufgemacht.

Tourismus erlitt Schaden

Das Lager Vučjak ist von der Stadt Bihać im Juni eingerichtet worden, weil viele Migranten damals in den Parks in der Stadt campierten und Müll hinterließen. Außerdem war es zu gewaltsamen Streitereien gekommen, Autos wurden gestohlen und der Tourismus erlitt laut der lokalen Bevölkerung Schaden.

Deshalb brachte man die Migranten aus dem Zentrum der Stadt mit 60.000 Einwohnern hinaus – auf ein näher an der kroatischen Grenze gelegenes Grundstück, weil klar ist, dass die Migranten ohnehin nach Kroatien und dann weiter nach Slowenien und Italien wollen.

Nun steht allerdings der Winter bevor. Und der bosnische Innenminister Dragan Mektić hat angekündigt, das umstrittene Freiluftcamp in den kommenden Tagen zu schließen. Die Migranten sollen in drei anderen Zentren untergebracht werden.

Überfüllte Zentren

Der Bürgermeister von Bihać, Šuhret Fazlić, ist allerdings dagegen, solange es noch kein neues Camp gibt, in das die Leute gebracht werden können. Er befürchtet, dass die Migranten andernfalls wieder in der Innenstadt landen. Tatsächlich sind die Aufnahmezentren Bira und Miral in der Region überfüllt.

Zudem wollen viele der etwa 7.000 Migranten in Bosnien-Herzegowina nicht im Landesinneren bleiben, sondern reisen immer wieder an die Grenze, um das "Game" zu versuchen. Gleichzeitig wird es feucht und kalt im Land. In Vučjak haben sich Regenlacken rund um die Zelte und in ihnen gebildet.

Mehr Freiheiten als woanders

Dennoch wollen manche Migranten lieber hier im Lager bleiben, als in ein geschlossenes Aufnahmezentrum gebracht zu werden, weil "die Regeln hier nicht so streng sind", "weil es im 'Dschungel' liegt", "weil man selbst kochen kann" und weil es in der "Nähe der Grenze" sei, erklären ein paar Pakistaner. "Dschungel" nennen sie den Wald und das Gestrüpp hier, zwölf Kilometer außerhalb von Bihać. Wenn man die Männer fragt, ob ihnen nicht zu kalt würde, antworten sie: "Wir halten das aus. Wir sind starke Männer aus Pakistan." Einige kommen auch aus Afghanistan, andere aus Bangladesch und aus Indien.

Eine realistische Perspektive, einen legalen Aufenthalt in Europa zu erlangen, hat kaum jemand. Fast alle wollen deshalb nach Italien, um dort unterzutauchen. Keiner von ihnen will um Asyl ansuchen, weil sie wissen, dass sie keine Chance haben. Die oft sehr jungen Männer in Trainingshosen und Jeans sind Arbeitsmigranten. Etwa 5.000 Euro gibt eine Familie in Pakistan oder in Afghanistan für ihre Reise aus. Manche sind bereits seit Jahren unterwegs und viele seit Monaten in Bosnien.

Kaum freiwillige Rückkehr

Sie kommen aus Sialkot, aus Faisalabad, viele aus dem pakistanischen Punjab. Eines der größten Probleme in ihrer Heimat ist, dass es wegen der Bevölkerungsexplosion in dem etwa 200 Millionen Einwohnern zählenden Staat nicht ausreichend Arbeit gibt. "Wir haben keine Fabriken", sagt der 20-jährige Muhamed Ibrahim. Die Internationale Organisation für Migration bietet ein Programm für die freiwillige Rückkehr an. Doch dieses wird von den Migranten kaum angenommen.

Das Rote Kreuz und die Hilfsorganisation Merhamet verteilen indes Bohnensuppe und Reis. Die Männer stellen sich brav in einer langen Reihe an. Nur zwei sitzen in einer Art Geschäft. Hier kann man Wasser, Saft und Mehlsäcke kaufen. Aus Lautsprechern tönt Musik, daneben steht ein Plastikblumenstock. Was sie machen werden, wenn das Lager geschlossen wird? "Dann gehen wir in den Wald und machen dort unser eigenes Camp auf", sagt Muhamed. (Adelheid Wölfl aus Bihać, 12.11.2019)