Kurz erweckt den Eindruck, als wolle er es ernsthaft mit den Grünen probieren, weist aber mehrmals darauf hin wofür wer gewählt wurde.

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Sebastian Kurz hat mehrfach darauf hingewiesen, wer wofür gewählt wurde: die Grünen für den Umweltschutz. Punkt. Die ÖVP für ihre Position in der Migrationsfrage, für die Standortpolitik, sprich Wirtschaft, und für ihre Steuerpolitik. Der Subtext dabei: Die Grünen mögen sich auch in einer allfälligen künftigen gemeinsamen Regierung mit der ÖVP um das kümmern, wofür sie gewählt wurden. Um den Klimaschutz.

Dass der nur Sinn hat, wenn er etwas weiter gefasst ist, scheint Kurz klar zu sein. Ihm ist bewusst, dass echte Maßnahmen für die ÖVP und ihre Verbündeten und Unterstützer durchaus schmerzlich werden könnten. Aber Kurz sieht Sinn darin, nicht nur um die Welt zu retten oder zumindest etwas besser zu machen. Da gibt es auch einen Imagegewinn zu lukrieren. Diesem Zugang ist der ÖVP-Chef nicht abgeneigt. Österreich könnte, zumindest in Europa, absoluter Vorreiter in Sachen Klimaschutz werden. Ein Vorzeigeland, das mag Kurz. Und so wird er den Grünen wohl entgegenkommen.

Bei den anderen Themen ist die Kompromissbereitschaft der ÖVP nicht sehr ausgeprägt. In Sachen Migration, Standortpolitik und Steuerreform will sich Kurz offenbar nicht oder nur wenig dreinreden lassen. Abstimmen ja, nachgeben nein. Da seien die Positionen der ÖVP sehr klar, dafür sei sie gewählt worden. Kurz wird sicher keine Mitte-links-Politik machen, nur weil er mit den Grünen eine Koalition eingeht. Das bedeutet auch, dass er seinen Ton in Migrationsfragen nicht mäßigen wird. Das wird vielen grünen Funktionären und Sympathisanten sauer aufstoßen.

Die Drohung der "Neubewertung"

Was tun mit der Mindestsicherung? Die türkis-blaue Regierung hat auf Betreiben von Kurz eine Verschärfung dieser Leistung, die sich mittlerweile wieder Sozialhilfe nennt, beschlossen, um den "Zuzug in unser Sozialsystem zu stoppen", wie argumentiert wurde. Menschen mit schlechten Deutschkenntnissen und vielen Kindern erhalten weniger. Diese Maßnahme zielt erklärtermaßen auf Ausländer, speziell auf Flüchtlinge ab. Die Grünen haben das kritisiert und bekämpft. Kurz wird das nicht ändern. Dafür wurde er gewählt, plus sechs Prozentpunkte. Nehmen die Grünen das jetzt widerspruchslos hin? Vielleicht lässt sich das über andere Maßnahmen kompensieren, die Grünen bringen immer wieder die Bekämpfung der Kinderarmut aufs Tapet. Leicht zu argumentieren wird das aber nicht.

Kurz erweckt jedenfalls den Eindruck, als wolle er es ernsthaft mit den Grünen probieren. Seine Partei hat er geschlossen hinter sich, das erwartet er sich auch von Werner Kogler. Wenn die ersten, möglicherweise faulen Kompromisse auf dem Tisch liegen, könnte sich die Stimmung bei den Grünen aber eintrüben. Das wird eine gefährliche Phase: Wenn Querschüsse kommen, würde auch Kurz nervös werden – und möglicherweise eine "Neubewertung vornehmen". Das kann als Drohung verstanden werden.

Der Wahlkampf in Wien – 2020 wird gewählt – macht die Situation nicht einfacher. Kurz war gerade für die Wiener Grünen, die ein Stückchen weiter links stehen als die Freunde in den Bundesländern, das perfekte Feindbild, das Sinnbild von böse, kapitalistisch, schnöselig und ausländerfeindlich. Und jetzt wird mit ihm gekuschelt? Da werden sich die Wiener Grünen schwertun, da gehört eine gehörige Portion Pragmatismus dazu. Manche werden ihnen das als ideologische Selbstaufgabe auslegen. (Michael Völker, 11.11.2019)