Foto: APA/HERBERT NEUBAUER

Eigentlich ist es selbstverständlich: Demokratie und Rechtsstaat brauchen Öffentlichkeit. Öffentlichkeit ist ein hohes Gut. Vor nichts fürchtet sich jede Form autoritärer Macht mehr als vor Öffentlichkeit. Und auch jene, die in demokratischen Staaten ihre Machtposition missbräuchlich verwenden (wollen), fürchten nichts mehr, als dass diese ihre Interessen öffentlich werden, und sie tun alles, um diese zu verschleiern und die Öffentlichkeit irrezuführen.

Im antiken Athen fanden die Volks- und Gerichtsverhandlungen der freien Bürger auf der Agora, dem Marktplatz, statt – sie waren öffentlich. Für Homer war das Fehlen einer Agora, also der Öffentlichkeit, ein Anzeichen für Recht- und Gesetzlosigkeit. Mehr als zwei Jahrtausende später wurden in der Habsburgermonarchie 1861 zuerst die Sitzungen von Herren- und Abgeordnetenhaus und sukzessive aller anderen, damals nicht demokratisch zusammengesetzten Körperschaften öffentlich, ehe 1867 das Recht auf freie Meinungsäußerung in Artikel 13 des Staatsgrundgesetzes verankert wurde. Und wiederum erst danach bildeten sich langsam demokratische Strukturen wie die schrittweise Erweiterung des Wahlrechts langsam heraus. Öffentlichkeit war zuerst.

Hoher Anspruch

Je mehr aus einer Elitenöffentlichkeit eine allgemeine Öffentlichkeit wurde, in die alle Bürgerinnen und Bürger eingebunden sind, desto eher brauchte es ein Forum, das an die Stelle der Agora trat und statt eines öffentlichen Raumes das Prinzip Öffentlichkeit repräsentiert: die Medien.

Anlässlich der 160-Jahr-Feier des Presseclubs Concordia hat Bundespräsident Alexander Van der Bellen auf die Aufgabe des Journalismus hingewiesen: nämlich aus der Informationsfülle die für die Gesellschaft relevanten Themen herauszufiltern, die berichteten Fakten abzusichern, sie in Zusammenhänge einzuordnen und kritisch zu kommentieren. Damit diese Aufgabe der Selbstbeobachtung der Gesellschaft und Kontrolle der Mächtigen gelingt, muss Journalismus autonom agieren können.

Van der Bellen bei seiner Ansprache.
Foto: APA/HERBERT NEUBAUER

Dass dieser hohe Anspruch immer gefährdet war, ist eine Binsenwahrheit. Bei privatwirtschaftlich betriebenen Medienunternehmen spielen von jeher funktionsfremde Interessen – die Interessen der Werbetreibenden – eine Rolle; auf öffentlich-rechtliche Organisationen versuchen staatliche Akteure Einfluss zu nehmen. Instrumente der Selbstkontrolle, die hier gegensteuern könnten, sind in Österreich eher gering ausgebildet. Und eine Informationsfreiheit existiert auch nicht. Das heißt nicht, dass die Sicherung eines in jeder Hinsicht unabhängigen und qualitätsvollen Journalismus nicht eine der demokratiepolitisch drängendsten Aufgaben wäre – im Gegenteil. Es geht dabei, wie der Bundespräsident unmissverständlich klarstellte, um nichts weniger als eine der Säulen einer funktionierenden liberalen Demokratie. Es gibt nur keine gute, alte Zeit, auf die man sich in den kommunikationstechnologischen Wirren der Gegenwart berufen könnte. Es sind neue Herausforderungen, denen sich heute alle Beteiligten stellen müssen – auch wir Bürgerinnen und Bürger.

Neue Form der Öffentlichkeit

Öffentlichkeit ist nicht etwas, das die Mächtigen gewähren. Demokratische Öffentlichkeit kontrolliert und legitimiert Macht. Ob und wie sehr sie dazu fähig ist, hängt von uns allen ab. Wie sehr dies gerade heute gilt, darauf hat DER STANDARD aufmerksam gemacht. Die Protestbewegungen rund um den Globus, schrieb Anna Giulia Fink, eint der Umstand, dass sie selbstorganisiert und führerlos sind. Und dass sie weniger durch ideologische Überzeugungen zusammengehalten werden, sondern durch Hashtags.

Die sozialen Online-Netzwerke schaffen eine neue Form von Öffentlichkeit, zumindest verhelfen sie ihr zum Durchbruch. Sie unterliegt, so die Politikwissenschafter W. Lance Bennett und Alexandra Segerberg, einer anderen Handlungslogik, einer "Logik konnektiven Handelns". Diese unterscheidet sich in ihrer individualisierten, auf konkrete Werte oder Themen bezogenen, nur lose organisierten, aber vernetzten Form grundlegend von der institutionalisierten Form der traditionellen kollektiven Handlungslogik mit ihren hierarchisch durchorganisierten, stark verbindend wirkenden weltanschaulich basierten Gruppenidentitäten.

Wie sehr soziale Medien diese Form politischer Beteiligung unterstützen, zeigen internationale Studien. Im positiven Fall steckt dahinter die Bereitschaft, für bestimmte Anliegen öffentlich einzustehen und sich für ihre Durchsetzung und damit für die aktive (und sich nicht nur im Wahlakt erschöpfende) Gestaltung des gemeinsamen Lebensraumes zu engagieren. Im negativen Fall wird dies zum Freibrief für bewusste Täuschung, für Gehässigkeiten, Ausgrenzung gesellschaftlicher Gruppen und Verschwörungstheorien aller Art.

Was ist Medienkompetenz?

Jede Form demokratischer Öffentlichkeit erfordert Verantwortung – vom professionellen Journalismus ebenso wie von allen anderen Teilhabern. Als medienvermittelte Öffentlichkeit erfordert sie Medienkompetenz. Ein kürzlich veröffentlichtes Dokument des Europarats versteht unter Medienkompetenz ein Bündel von kognitiven, technischen und sozialen Fähigkeiten und Kenntnissen, die im Selbstvertrauen münden, sowohl informierte Entscheidungen über alle Medieninhalte zu treffen, mit denen wir jeden Tag in Kontakt kommen, als auch über die Art und Weise, wie wir in unseren Medienumwelten interagieren, zu ihnen beitragen und an ihnen partizipieren.

Dazu gehört es, Medieninhalte – egal woher sie kommen – kritisch zu rezipieren und zu verstehen, wie Medienproduktions-, Redaktions- und Finanzierungsprozesse funktionieren. Dazu gehört das Verständnis, wie Daten verwendet werden und wie Algorithmen die Medienproduktion ebenso wie unsere Auswahloptionen beeinflussen können. Medienkompetenz bedeutet auch, mit sozialen Medien verantwortungsbewusst und sicher umzugehen und ihr kreatives und partizipatives Potenzial on- und offline im Sinne einer demokratischen Öffentlichkeit zu nutzen.

Schon 2018 hatte der Europarat die Ausarbeitung nationaler politischer Richtlinien zur Förderung der Medienkompetenz unter Einbindung der relevanten Interessengruppen im Bildungs-, Medien- und Regulierungsbereich sowie die mehrjährige Sicherstellung der dafür notwendigen Ressourcen gefordert und auf die dafür insbesondere im Sektor der Community-Medien vorhandene Kompetenz verwiesen. Dieser Punkt sollte bei den kommenden Regierungsverhandlungen im Kapitel Medienpolitik ganz oben stehen. (Josef Seethaler, 13.11.2019)