In Bolivien feiern Demonstranten den Rücktritt des Präsidenten Evo Morales.

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Das "Ende der Tyrannei", ein Sieg für die Demokratie, ein Putsch oder eine Gaunerei: Die Einschätzungen der Lage in Bolivien, wo Präsident Evo Morales am Sonntag aus dem Amt schied, gingen tags darauf weit auseinander – wie zuvor schon die Bewertungen der Amtszeit des linken Staatschefs. Da wie dort gilt: Wirklich treffend ist keine der eilig angebrachten Einschätzungen.

Um beim einfachsten Punkt anzufangen: Ein "Ende der Tyrannei" ist es nicht. Morales war gewiss kein Paradedemokrat; das Gesamtbild einer Diktatur ergibt seine Präsidentschaft aber auch nicht. Teils war sie das Gegenteil: Die gesellschaftliche Stärkung der Indigenen, die Teilhabe der Ärmeren an der Gesellschaft, der regionale Ausgleich und der Kampf gegen die Ungleichheit – sie wären tatsächlich als Errungenschaften Morales' einzuordnen.

Wenn es nicht auch andere Seiten seiner Amtszeit gegeben hätte: Und da sind wir bei der "Gaunerei". Morales hatte dieses Wort gewählt, um Gegnern Betrug vorzuwerfen – dabei wäre es an ihn selbst am besten gerichtet. Spätestens seit dem Versuch, das 2016 verlorene Referendum über eine neue Amtszeit via Gericht geradebiegen zu lassen, hatte die Präsidentschaft einen Makel. Morales hätte nicht mehr antreten dürfen – doch er sah sich als unverzichtbar. Die Vorwürfe der Wahlmanipulation, auf die vieles hindeutet, stellen eine noch viel größere Verfehlung dar.

Aber ist das, was in Bolivien passiert ist, nun wirklich schon ein Sieg der Demokratie? Das ist offen – und es liegt nun in der Hand der Protestbewegung: Löst sie sich glaubhaft von den teils weit rechten Gruppen, die Morales nicht nur wegen dem, was er tat, ablehnten – sondern weil er ist, wer er ist? Trennt sie sich von ihren Verbindungen zur Bergbaulobby und zur Armee? Wünschenswert wäre es. Sonst ist der Vorgang vom Sonntag mit dem letzten noch offenen Schlagwort beschrieben: Putsch. (Manuel Escher, 12.11.2019)