Gießhübl südlich von Wien führt den Index der Lebenssituationen an.
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Wohlstand und Armut werden in Österreich recht großräumig gemessen. Im Rahmen der Silc-Sozialstudie erfasst die Statistik Austria "jährlich Informationen über die Lebensbedingungen der Privathaushalte", sie gibt Auskunft über das Abschneiden von Bundesländern oder Regionstypen. Zwar werden für die Silc-Erhebung Mitglieder von 6090 Haushalten befragt; selbst eine so große Stichprobe ist aber zu klein, um die seriöse Einstufung einzelner Gemeinden zu erlauben.

Julia Bock-Schappelwein und Franz Sinabell vom Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung (Wifo) haben zur Abhilfe einen Index geschaffen, der Einblick in die materiellen Lebensumstände der Bevölkerung auch auf Kommunalebene geben soll. Vier Bereiche fließen in die Berechnung ein:

  • Die Kaufkraft bildet den zum Konsum verfügbaren Einkommensanteil ab.
  • Die Bevölkerungsstruktur bündelt Faktoren wie Überalterung oder Abwanderung, die auf Strukturschwäche hindeuten.
  • Die Bildungsstruktur soll den Umstand einfangen, dass vor allem geringqualifizierte Personen von Armut betroffen sind.
  • Die Erwerbsintegration, also der Anteil der Beschäftigten an allen 15- bis 64-Jährigen, gilt schließlich als Indikator für eine stabile Joblage.

Die jeweiligen Werte der 2100 österreichischen Gemeinden werden so durch die Statistikmaschine geschickt und auf einer zehnteiligen Skala eingeordnet. Ein Indexwert nahe eins würde ein fatales Abschneiden signalisieren, ein Maximalwert von zehn stünde für die perfekte Gemeinde. Die Extreme werden aber nicht annähernd erreicht. 2017, im jüngsten Erhebungsjahr, lag der tiefste gemessene Wert bei 3,803 Indexpunkten, der höchste bei 8,547 Punkten.

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Zu hoch darf sie nicht sein

Überträgt man die Ergebnisse auf eine Gemeindekarte, so ergibt sich ein bunt gefärbtes Österreich, das schon auf den ersten Blick einige Erkenntnisse zulässt. Die auffälligste: Die materielle Lebenssituation bessert sich mit der Bevölkerungsdichte, zu hoch darf diese aber nicht sein.

In ländlich geprägten Gemeinden fernab von Mittel- oder Großzentren sind die örtlichen Lebensumstände vergleichsweise ungünstig. Das trifft vor allem auf grenznahe Gemeinden des Waldviertels und Weinviertels, die Obersteiermark, Teile des Burgenlands sowie auf Oberkärnten, Osttirol und das Tiroler Oberland zu.

Je näher Gemeinden an den Zentren, also Städten mit zumindest mehreren Zehntausend Einwohnern, liegen, desto höher klettern die Indexwerte. Am besten performen Gemeinden in den unmittelbaren Speckgürteln rund um die Städte. Die Zentren selbst verzeichnen wieder niedrigere Werte – ein Phänomen, das sich durchgehend von Wien, Graz, Linz, Salzburg und Innsbruck abwärts beobachten lässt.

Hauptgrund dafür ist die Funktion der Zentren als Jobmotoren: Junge, gut ausgebildete Personen finden zwar gut dotierte Arbeit in den Städten, lassen sich im Zuge der Familiengründung aber oft in den ruhigen Umlandgemeinden nieder und nehmen den Stau beim Einpendeln in Kauf. Kein Wunder also, dass Gießhübl und Gaaden, beide nur wenige Kilometer von Wiens südlicher Stadtgrenze entfernt, sowie der Salzburger Vorort Plainfeld den Index anführen.

Ausreißer bestätigen die Regel

Am anderen Ende der Wertung stehen, exemplarisch für das zentrumslose und überalternde Burgenland, die Grenzgemeinden Kittsee und Tschanigraben sowie Unterperfuss in Tirol, ein Ausreißer. Ausreißer deshalb, weil andere Orte westlich von Innsbruck gut abschneiden, innerhalb derer die Kleinstgemeinde mit ihren 223 Einwohnern eine Insel bildet.

Das ist eine zweite Erkenntnis des Index: Lokal schlägt regional. Denn auch wenn Regionen einer großräumigen Tendenz folgen, muss dieser Trend nicht automatisch auf jede dort gelegene Gemeinde zutreffen. Oft tragen lokale Besonderheiten auf dem Arbeitsmarkt oder in der Einwohnerstruktur zu örtlichen Abweichungen bei.

Durchgehende Verbesserungen

Das Wifo hat den Index nicht nur mit den aktuell verfügbaren Zahlen bestückt, sondern mit Daten bis in das Jahr 2010. Daraus lässt sich – und das gilt für ländliche und städtische Gemeinden gleichermaßen – ein Aufwärtstrend ablesen. Insgesamt hielten 2017 nur 80 Gemeinden bei einem schlechteren Indexwert als 2010, während sich die mit Abstand große Mehrheit der Gemeinden verbessert hat.

Der Medianwert des dünn besiedelten Raumtyps "ländlicher Raum, peripher" lag 2010 bei 5,42 Indexpunkten, sieben Jahre später bei 6,01. Im Typ "ländlicher Raum im Umland von Zentren" wuchs er von 6,48 auf 7,12 Punkte. Und in den "urbanen Großzentren" von 6,41 auf 6,96 Punkte.

Wien ist in den Großzentren nicht berücksichtigt, sondern wird als eigene Metropolregion gewertet. 6,4 Indexpunkte erreichte die Bundeshauptstadt 2017 (nach 5,79 im Jahr 2010), das entspricht annähernd dem österreichischen Wertungsschnitt von 6,52.

Doch auch innerhalb der Stadtgrenzen variiert die Performance. Die Innere Stadt, Neubau und Hietzing führen die Bezirkscharts an, Favoriten, Rudolfsheim-Fünfhaus und Brigittenau schließen sie ab. (Michael Matzenberger, 25.11.2019)