Mittlerweile ist die Kuppel mit Pflanzen bewachsen und deutlich von Rissen durchzogen.

Foto: APA/AFP/US DEFENCE NUCLEAR AGENC

Der steigende Meeresspiegel rund um die Atolle der Marshallinseln droht ein riesiges Atommülllager der USA zu zerstören. Mehr als 100.000 Kubikmeter an radioaktiv verstrahltem und teils plutoniumhaltigem Schutt und Boden könnten dadurch in den Pazifik gespült werden. Während des Kalten Krieges testeten die Vereinigten Staaten sage und schreibe 67 Atomwaffen auf der Inselgruppe. Mit der Wasserstoffbombe Castle Bravo mit einer Sprengkraft von mehr als 15 Megatonnen kam dort auch die stärkste jemals von den USA getestete nukleare Waffe zum Einsatz. Als atomare Tests zwischenzeitlich eingestellt wurden, fungierte die Inselgruppe als Testort für zwölf biologische Waffen (Bakterien sollten Feinde töten) und später auch als Zielfläche für Raketentests.

Weil andere Lösungen zur Lagerung der radioaktiv verstrahlten Erde zu teuer waren, füllten die USA zwischen 1977 und 1980 einfach einen Krater auf der Insel Runit im Eniwetok-Atoll mit dem Atommüll und verschlossen ihn mit einer Kuppel aus Portlandzement. Von den Einheimischen wird die Kuppel "The Tomb" ("Das Grab" oder "Die Gruft") genannt. Ohne die Marshallinseln zu informieren kippten die USA zusätzlich auch noch 130 Tonnen verstrahlten Boden aus der Nevada-Wüste in das Atommülllager. Als zu klein, zu weit entfernt und zu unbedeutend galt den USA damals der 50.000-Einwohner-Staat.

In den vergangenen Jahren schwemmten Wellen kontinuierlich verstrahltes Material von benachbarten Inseln und Atollen an, weshalb man sich später für einen Zubau entschloss. Neue Recherchen der "Los Angeles Times" und der Columbia-Universität zeigen nun den schlechten Zustand der Kuppel, die von Rissen übersät ist und bröckelt. Zudem beobachteten sie verheerende Folgen für die unmittelbare Umwelt, die schon heute eklatant zutage treten.

Der 1. März 1954 war jener Tag, an dem für viele Bewohner der Marshallinseln zweimal die Sonne aufging und zunächst keiner so recht wusste, warum. Die Evakuierung umliegender Inseln erfolgte erst zwei Tage nachdem der radioaktive Fallout wie Schnee vom Himmel gefallen war.
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Verheerende Umweltfolgen

Forscher berichten immer öfter von sogenannten Kippeffekten. Rund um die Marshallinseln stieg der Meeresspiegel seit 1993 mit fast einem Zentimeter pro Jahr mehr als doppelt so schnell wie im globalen Durchschnitt. Auch hat das wärmere ansteigende Wasser zu einem massiven Ausbleichen zahlreicher Korallenriffe, zu großflächigem plötzlichem Fischsterben, riesigen Algenteppichen und merkwürdigen Verfärbungen des normalerweise kristallklaren azurblauen Wassers hin zu einer braunen, unklaren Brühe geführt. Ähnlich verfärbt sei das Wasser rund um die Kuppel. Die Forscher befürchten außerdem, dass Taifune mit großen Wellen die Kuppel schon bald komplett vom Krater herunterreißen könnten.

Der Klimawandel gilt außerdem als mitverantwortlich für den bisher größten Ausbruch des Dengue-Fiebers in dem Pazifikstaat. Stets gepaart mit zahlreichen Spätfolgen der nuklearen Verstrahlungen, die nach wie vor zu deutlich erhöhten Krebsraten und einer überdurchschnittlichen Anzahl an Fehlbildungen führen – schließlich haben die damaligen Atomtests bis heute mehr Radioaktivität hinterlassen als die Reaktorunfälle von Tschernobyl und Fukushima, wie eine heuer veröffentlichte Studie beweist.

Fehlende Verantwortung

Die USA werden ihrer Verantwortung für die bereits begangenen und noch abzusehenden Umweltkatastrophen keinesfalls gerecht – sofern das überhaupt möglich ist. Nicht nur wurde scheinbar unsauber gearbeitet und bei weitem nicht der gesamte verstrahlte Boden abgetragen, nicht einmal die eigenen 4.000 Soldaten verfügten über die notwendige Schutzkleidung bei den Aufräumarbeiten. Sechs Personen starben noch während des Kuppelbaus, hunderte an den Spätfolgen. Wenngleich Menschenleben nie aufgewogen werden können, ist die Zahl gefährdeter und an den Spätfolgen verstorbener Einheimischer natürlich noch deutlich höher. Vielen wurde zu früh die Rückkehr erlaubt, um die Folgen der Strahlenwirkung an menschlichen Versuchskaninchen zu erforschen. Und dennoch wird fast jede Verantwortung abgewälzt.

Beeindruckende Bilder vom Bau der Kuppel und den furchtbaren Spätfolgen sind auch in dieser Doku zu sehen.
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Von einer gemeinsam eingesetzten Schiedskommission zu einer Strafzahlung von 2,3 Milliarden Dollar verurteilt, zahlten die USA bisher gerade einmal vier Millionen an die Regierung der Marshallinseln. Die US-Ministerien argumentieren, dass die Vereinigten Staaten ohnehin schon mehr als 600 Millionen Dollar für Umsiedlungen, Rehabilitation und Gesundheitskosten ausgegeben haben. Für die Instandhaltung und die damit verbundenen Kosten der Kuppel wird jedoch weiter jegliche Verantwortung den Marshallinseln zugeschrieben. "Wie kann sie uns gehören?", fragte Präsidentin Hilda Heine im Interview mit der "L.A. Times" in Bezug auf die Kuppel. "Wir wollen sie nicht. Wir haben sie nicht gebaut. Der Müll gehört nicht uns. Er gehört ihnen!", attackierte sie die USA direkt.

Fragwürdige Begründungen

Besonders erschreckend mutet an, dass die USA heute sagen, sie hätten die Kuppel ja nie zum Zweck des Strahlenschutzes gebaut, sondern lediglich, um den Inhalt konzentriert an einer Stelle zu halten. Die umliegenden Inselbewohner berichten heute, dass sie selbstverständlich davon ausgingen, dass auch ausreichend Vorkehrungen für den Strahlenschutz getroffen wurden, wie auch lokale Politiker betonen.

Der US-Verantwortliche für die Kuppel auf der Runit-Insel, Terry Hamilton aus dem Energieministerium, hat hingegen eine andere Sichtweise: Er betonte stets, dass sich kein Bewohner Sorgen machen müsse. Zwar sei die Stabilität der Kuppel von Lecks durch Stürme und dem steigenden Meeresspiegel gefährdet, aber das bisschen mehr Plutonium würde die ohnehin hohen Raten im Meerwasser auch nicht merklich verschlechtern. Die Lagune sei auch so schon so verschmutzt, dass es auf die Reste aus dem "Grab" nicht mehr ankomme. Da Plutonium dem menschlichen Körper nur über die Luft oder durch Schnitte in der Haut schaden könne, seien die Plutoniummengen im Wasser nicht weiter bedenklich und man könne beruhigt auf der Insel leben, so Hamilton. Wenig überraschend hielten zahlreiche Fachkollegen Hamiltons Aussagen für verrückt und betonten sehr wohl die immense Gefahr für Mensch und Umwelt.

Machtfaktor China

Eine geopolitische Komponente macht die Situation besonders pikant, könnte aber die USA zu mehr Verantwortung auf den Marshallinseln drängen. China will seinerseits die Vormachtstellung der USA im Pazifik brechen, und zahlreiche Pazifikstaaten liebäugeln bereits mit lukrativen Investitionen, wenn sie ihre Inseln als potenzielle chinesische Militärstützpunkte hergeben. Wenn 2023 der bilaterale Vertrag zwischen den USA und den Marshallinseln zur Neuverhandlung steht, dürfte der Pazifikstaat seine Verhandlungsposition deutlich gestärkt haben und die USA zwingen können, die Entschädigungszahlungen endlich ernst zu nehmen.

Die Frage ist dennoch, inwiefern sich in den USA der politische Druck für konkretes Handeln aufbauen lässt. Die USA akzeptieren weder die Gerichtsbarkeit des Internationalen Strafgerichtshofs noch lassen sie Klagen der Marshallinseln in den Vereinigten Staaten zu. Der US-Kongress lehnt Anträge zur Behandlung der Materie regelmäßig ab. Eine neue Studie zu Highschool-Geschichtsbüchern in Kalifornien zeigte kürzlich zudem, dass weder die US-Atomtests auf den Marshallinseln und deren verheerende Folgen noch der Pazifikstaat an sich irgendeine Rolle in den Lehrplänen spielen. Auch das ist ein klares Zeichen einer mangelnden Selbstreflexion der nuklearen Supermacht USA. (Fabian Sommavilla, 14.11.2019)