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Fassen wir noch einmal zusammen: Ende Oktober wurden schwerwiegende Vorwürfe gegen den Verein Original Play laut, der "ursprüngliches Spielen" anbietet und den verschiedenste Kinderbetreuungseinrichtungen eben dafür engagiert haben. Kinder können – freiwillig, wie der Verein betont – dann mit den Trainerinnen und Trainern raufen und herumtollen. Und das bedeutet freilich sehr engen Körperkontakt, obwohl die Kinder diese TrainerInnen zum ersten Mal sehen. Es sind für sie praktisch Fremde.

Erfunden hat das Ganze der 76-jährige US-Amerikaner Fred Donaldson. Der Geograf hat weder einen pädagogischen noch einen psychologischen Hintergrund und reagierte in einem "ZiB 2"-Interview auf kritische Fragen ungehalten. Ein autoritär auftretender Vereinsgründer, ein völlig unerforschtes pädagogisches Konzept und konkrete Missbrauchsvorwürfe in Deutschland, die auf pädophile Übergriffe hindeuten.

Der Verein, gegen den es in Deutschland Vorwürfe wegen Missbrauchs gibt, tritt bei einer Pressekonferenz für sein Angebot in Österreich ein.
DER STANDARD/APA

Im Gegensatz zu vielen anderen pädagogischen und Genderthemen – und Kinderbetreuung ist auch ein solches – verlief diese Debatte verhältnismäßig gesittet und war auch recht schnell vorbei. Es ging darum, welche Vereine in Kinderbetreuungseinrichtungen und Schulen Zugang haben sollen, ob es ausreichende oder überhaupt irgendwelche Qualitätskriterien gibt – und ob dieses Konzept eine "Einladung zum Missbrauch" ist. Letzteres ist tatsächlich keine adäquate Formulierung, vermittelt sie doch den Eindruck, ein Mann – vorwiegend waren Männer in den veröffentlichen Videos zu sehen – bräuchte nur die richtigen Umstände, und schon würde aus ihm ein Pädophiler. Das sind übrigens sprachliche Blindflüge, die vor allem bei sexueller Gewalt gegen Frauen an der Tagesordnung sind.

Bauchgefühl bestätigt

Die grundlegende Problematik mit dem Original-Play-Konzept brachte der Bildungswissenschafter Wilfried Datler sachlich auf den Punkt: Es sei eine fragwürdige transportierte Botschaft, dass "fremde Erwachsene in kurzer Zeit mit Kindern in ein körpernahes Spiel kommen wollen". Das vermittle, dass es wünschenswert sei, in kurzer Zeit mit zunächst Fremden in einen intimen Kontakt zu kommen, sagt Datler der "ZiB 2". Das bestätigt das schlechte Bauchgefühl vieler, was diese "Methode" betrifft. Andere fühlen sich hingegen vor allem dadurch unwohl, dass Berichte und nachfolgende Debatten über Original Play einen Generalverdacht gegen Männer festigen würden.

Der Psychologe Josef Christian Aigner deutet in seinem Kommentar im STANDARD an, es seien nicht die oben erwähnten Fakten gewesen, die Bildungsministerin Iris Rauskala veranlassten, den Bundesschulen das Engagement von Original Play zu untersagen. In seinen Worten sah sie sich "genötigt", wohl durch die "kochenden Gemüter", die er eingangs erwähnt. Zu einem eigenen Urteil war sie demnach wohl nicht fähig. Gut, das sind die üblichen sexistischen Vorurteile – doch die sollten gerade in einem Kommentar nicht übersehen werden, in dem es darum geht, diese Vorurteile gegen Männer sein zu lassen, konkret: gegen Männer in pädagogischen Berufen, die wir ohnehin so dringend brauchen und durch Pauschalverurteilungen noch zusätzlich vergraulen würden. Eine gewagte These angesichts der niedrigen Löhne, der kaum vorhandenen sozialen Anerkennung für diese Berufe und der strengen geschlechterspezifischen Arbeitsteilung in produktive Tätigkeiten für Männer und reproduktive für Frauen. Diese Kombination ist wohl wahrscheinlicher für das Fernbleiben der Männer in der entlohnten Arbeit mit Kindern verantwortlich. Ebenso in der unentgeltlichen.

Raufen versus Puppenküche

Wie groß der Generalverdacht ist, zeige sich laut Aigner daran, dass wohl kaum jemand aufgeschrien hätte, hätten "nur Frauen mit den Kindern herumgebalgt". Dass das einen Bias bei den Kritikerinnen von Original Play beweise, verschleiert allerdings völlig, dass Pädophilie vorwiegend bei Männern diagnostiziert wird. Laut Schätzungen kommen auf eine pädophile Frau etwa 100 pädophile Männer. Nur Schätzungen sind es deshalb, weil gerade im Bereich der sexuellen Gewalt die Dunkelziffern hoch sind. Doch diese sind kein Generalverdacht gegen Männer in pädagogischen Berufen. Denn wir sollten nicht vergessen, dass Original Play aufgrund der Gemengelage aus fragwürdigem Konzept und konkreten Missbrauchsvorwürfen in die Schlagzeilen geriet – und nicht allein, weil da Männer mit Kindern raufen.

Nicht erwähnt wurde bisher außerdem: Es ist selten, dass in Kinderbetreuungs- oder Spielangeboten Geschlechterparität herrscht, beim Verein Original Play in Österreich aber schon. Wenn es ums "Raufen" geht, fühlen sich also offenbar mehr Männer berufen. Im Zusammenhang mit vermeintlichen "Buben- und "Mädcheninteressen" wird oft beweint, dass es den Buben in den vielen Einrichtungen mit Frauenüberhang so fehlen würde, dass sie "wild" sein dürfen. Männliche Pädagogen würden Vorschulkinder eher zu körperbetonter Spielweise animieren, schreibt Aigner. Warum das so ist, lässt er offen. Hoffentlich geht er nicht von einem Geschlechter-Essentialismus aus, nach dem Männer und Buben nun mal einfach lieber raufen, während die Mädchen nun mal lieber in der Puppenküche abhängen.

Misstrauen gegenüber fürsorglichen Männern

Denn das Misstrauen gegenüber Männern in pädagogischen Berufen basiert auf einem konservativen Männerbild. Ein solches Misstrauen haben Menschen, die genau zu wissen scheinen, was ein "weibliches" und was ein "männliches" Verhalten ist. Sie verdächtigen liebevolle und fürsorgliche Männer, weil das nicht in ihr Männlichkeitsbild passt. Feministisch sensibilisierte Eltern hingegen freuen sich einen Ast ab, wenn im Kindergarten oder der Schule des Kindes auch nur ein männlicher Pädagoge zu finden ist. An diesem Enthusiasmus für mehr Männer in der Elementarpädagogik ändert auch die völlig berechtigte Kritik an einem windschiefen pädagogischen Konzept sicher nichts. (Beate Hausbichler, 13.11.2019)