Präsidentin Ursula von der Leyen kämpft an mehreren Fronten um den Amtsantritt ihrer Kommission: Drei Kandidaten müssen durch Anhörungen, die Briten haben keinen nominiert, Migration regt auf.

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Ursula von der Leyen muss kämpfen, kämpfen, kämpfen. In nur knapp drei Wochen, am 1. Dezember, sollte ihr Team aus 28 EU-Kommissaren offiziell den Dienst antreten. Jean-Claude Juncker und sein Kollegium wären dann Geschichte.

So lautet der Plan, den auch die Staats- und Regierungschefs der Union beim EU-Gipfel Ende Oktober gutgeheißen haben. Der ursprüngliche Antrittstermin 1. November musste verschoben werden, weil die EU-Abgeordneten drei Kommissarskandidaten nach den Anhörungen in Ausschüssen als ungeeignet abgelehnt hatten.

Beim Gipfel war "die Neue" aus Deutschland bereits aufgetreten, hatte ihr Programm bis 2024 persönlich vorgestellt. Von der Leyen ist seit Juli "President elect", vom Parlament gewählt. Juncker hat nach dem EU-Gipfel in Straßburg eine Bilanzrede gehalten. Er führt die Geschäfte nur noch provisorisch. Es werden keine Initiativen mehr gesetzt. Alles wartet auf die Von-der-Leyen-Kommission.

Wackelkandidaten

Aber es geht einfach nicht los. Am Donnerstag werden die drei Ersatzkandidaten aus Frankreich, Ungarn und Rumänien für die im Oktober abgelehnten Bewerber in den Ausschüssen angehört. Der Rechtsausschuss hat bereits befunden, dass es formal, was Vermögensverhältnisse angehe, keine Einwände gebe. Dennoch ist nicht sicher, dass Thierry Breton, Olivér Várhelyi und Adina Ioana Vălean "durchkommen".

Breton, ein Konservativer, habe ein Problem mit Interessenkollisionen, kritisierte die Fraktionschefin der Linksfraktion, Manon Aubry, am Mittwoch scharf. Sie moniert, dass Breton Chef von Atos, einem großen IT-Unternehmen, war und jetzt ausgerechnet als Industrie- und Binnenmarktkommissar mit Zuständigkeit für Digitales in Brüssel einziehen soll.

Seine Atos-Aktien im Wert von rund 30 Millionen Euro hat er zwar verkauft, aber auch bei den Sozialdemokraten rumort es deswegen. Eine Mehrheit ist für Breton ebenso unsicher wie für den ungarischen Ex-Botschafter und Fidesz-Mann Várhelyi.

Sollte eine oder einer der drei scheitern, dann kann von der Leyen ihren Traum vom Start am 1. Dezember vergessen. Eine Verschiebung auf Jänner wäre sicher.

"Förderung" statt "Schutz"

Dabei sind diese Ersatzkandidaten gar nicht das größte und einzige Hindernis. Die Deutsche muss an vielen Fronten weiterkämpfen. So hat sie am Mittwoch der Umbenennung der Zuständigkeit von Margaritis Schinas zugestimmt, einem der künftigen Vizepräsidenten. Sie hatte ihn mit dem "Schutz unserer europäischen Lebensart" im Bereich Migration beauftragt. In den Ohren der Linken im Parlament klang das fremdenfeindlich: Schinas wird nun Kommissar zur "Förderung der europäischen Lebensweise".

Solch kleine Korrekturen verbessern die Stimmung, lösen jedoch nicht das Hauptproblem, das der Präsidentin die Feier verhageln könnte: Es hat mit dem auf spätestens Ende Jänner 2020 verschobenen Brexit zu tun und trägt einen Namen: Boris Johnson. Wie es aussieht, könnte der britische Premierminister den 1. Dezember platzen lassen, weil er sich am 12. Dezember Neuwahlen stellt. Weil sein Land EU-Mitglied ist, müsste Johnson gemäß den EU-Verträgen formell einen eigenen EU-Kommissar nominieren. Das tat er aber bis Mittwoch nicht, trotz zwei maliger dringender Aufforderung durch von der Leyen. Er ignorierte ihre Briefe einfach.

Juristisches Dilemma

Das reißt ein großes juristisches Dilemma auf, wie EVP-Fraktionschef Manfred Weber einräumte. Ohne einen Briten wäre eine EU-Kommission mit 27 Mitgliedern, die am 1. Dezember anfängt, angreifbar. Entscheidungen könnten beim Höchstgericht, dem EuGH in Luxemburg, angefochten werden. Die Kommission könnte die Regierung in London beim EuGH wegen Pflichtverletzung klagen, eine Nominierung erzwingen. Aber das hilft wenig, weil sich das bis 1. Dezember nicht mehr ausginge.

Eine andere, von Experten angedachte Lösungsvariante wäre, dass die Staats- und Regierungschefs beschließen, dass die neue Kommission nur aus 27 Mitgliedern besteht. Das ginge auf Basis des EU-Vertrags von Lissabon, der eine Verkleinerung zulässt.

Aber dafür würde man im Rat Einstimmigkeit benötigen, sprich, Boris Johnson müsste zustimmen. Der Brite spielt mit von der Leyen also Katz und Maus. Wie immer das Match ausgeht, ob "Boris" vielleicht doch nominiert und "Ursula" aushilft oder nicht: In jedem Fall muss eine Mehrheit im Plenum des EU-Parlaments das neue Team – ob 27 oder 28 – wählen. Parlamentspräsident David Sassoli gab bei einem Seminar mit Europajournalisten am Dienstag die Richtung vor: Es stehe den Briten nicht zu, die EU-27 zu blockieren, aber zur Entscheidung brauche es rechtlich "absolute Klarheit".

Derweil gab es in Brüssel am Mittwochabend zumindest eine gute Nachricht: Kommissionschef Juncker, der sich am Dienstag einer Aneurysma-Operation unterziehen musste, hat diese laut Sprechern gut überstanden. (Thomas Mayer, 13.11.2019)