Die Berberflagge ist Stein des Anstoßes und Vorwand.

Foto: EPA/Anis Belghoul

In ihrem Vorgehen gegen die weiter beharrlich auf den Straßen demonstrierende Protestbewegung macht Algeriens Justiz zunehmend Ernst. Das für seine politisch motivierten Urteile bekannte Gericht Sidi M'Hamed in Algier verurteilte am Dienstag 28 Menschen zu Haft- und Geldstrafen für das öffentliche Mitführen der Fahne der Berberminderheit, auch Amazigh genannt. 22 Angeklagte wurden zu sechs Monaten Gefängnis und sechsmonatigen Bewährungsstrafen sowie Geldstrafen in Höhe von umgerechnet 225 Euro verurteilt, sechs weitere Beschuldigte müssen für sechs Monate hinter Gitter und 150 Euro zahlen.

Während die Urteilsverkündung für 20 weitere Menschen vertagt wurde, sprach ein Gericht im Stadtteil Bab El Oued in Algier fünf Menschen frei, die ebenfalls in den vergangenen Monaten im Rahmen von Demonstrationen für das Mitführen der Berberfahne verhaftet und vor Gericht gezerrt worden waren. Landesweit müssen sich mehr als 100 Menschen wegen des Schwenkens der Berberfahne verantworten, berichten Menschenrechtler.

Das Tragen der Fahne ist gesetzlich nicht verboten, verurteilt wurden die Angeklagten daher für das "Untergraben der nationalen Integrität". Algeriens zunehmend autoritär agierende Staats- und Armeeführung versucht bereits seit Monaten, mit dem gezielten Vorgehen gegen Berberaktivisten die Protestbewegung zu spalten und Araber und Berber gegeneinander auszuspielen. Die Proteste gegen Armeechef Ahmed Gaïd Salah und die als dessen Marionette geltende politische Führung des Landes bekommen bereits seit zwei Monaten wieder massiven Zulauf.

Ruppig gegen Proteste

Der Druck auf Algeriens Staatsklasse wächst zunehmend, auch da inzwischen verstärkt zu Streiks und Blockaden staatlicher Unternehmen und des öffentlichen Dienstes aufgerufen wird. Die in den Reihen von Protestbewegung und Opposition völlig diskreditierte Staatsführung um Gaïd Salah hält derweil stur an der für den 12. Dezember geplanten Präsidentschaftswahl fest und zieht seit Monaten die Daumenschrauben an. Die Polizei geht zunehmend ruppig gegen Proteste vor, immer mehr Oppositionelle und Aktivisten werden vor Gericht gezerrt. Protestbewegung und Opposition lehnen den Urnengang ab, sind bei diesem doch nur fünf der Staatsführung nahestehende Kandidaten zugelassen. (Sofian Philip Naceur, 13.11.2019)