Donald Trump telefonierte Ende Juli mit dem ukrainischen Staatschef Wolodymyr Selenskyj und bat ihn dabei um einen "Gefallen". Seither wächst die Kritik an ihm.

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Ganz zu Beginn der sogenannten Ukraine-Causa trat Donald Trump die Flucht nach vorn an – oder er versuchte es zumindest: Als Ende Oktober im Weißen Haus durchsickerte, dass eine Dienstbeschwerde wegen Macht- und Amtsmissbrauchs vorlag, reagierte Trump mit seiner Version radikaler Transparenz. Er veröffentlichte ein Protokoll seines ins Gerede gekommenen Telefonats mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Der Versuch, die Unterhaltung als harmlos zu präsentieren, ging nach hinten los. Die Zusammenfassung entkräftete den bestehenden Verdacht nicht. Im Gegenteil, sie zeigte: Trump hatte Selenskyj gedrängt, Ermittlungen gegen den demokratischen Präsidentschaftskandidaten Joe Biden einzuleiten – und im Gegenzug auf US-Hilfen für Kiew verwiesen.

Drei Tage später kündigte die ranghöchste Demokratin im Kongress, Nancy Pelosi, an, Ermittlungen über ein mögliches Amtsenthebungsverfahren einzuleiten. Die Strategie der Demokraten ist simpel: Sie wollen den Beweis dafür erbringen, dass Trump die amerikanische Militärhilfe an die Ukraine als Druckmittel benützt hatte, um Ermittlungen gegen seinen innenpolitischen Kontrahenten zu erzwingen.

Der Vorwurf der Klägerseite ist also eindeutig. Weit weniger geradlinig verhält es sich hingegen mit der Strategie der Verteidigung. Der – vorerst nur symbolisch – auf der Anklägerbank sitzende Präsident und all jene Republikaner, die sich bisher seiner Verteidigung verschrieben haben, sie mäandern in ihrer Defensive. Was freilich nicht heißt, dass sie völlig erfolglos wären.

"Kein quid pro quo", und sonst ...

Ende September allerdings sah alles noch eher nach Chaos aus: Auf den gescheiterten Versuch, durch die Herausgabe des Telefonmemos Herr der Lage zu werden, griffen sie zu einer völlig anderen Taktik: Trumps Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter schalteten auf Komplettblockade. Sie verweigerten jegliche Kooperation sowie jede Herausgabe von Dokumenten und Zeugenaussagen. Viele Republikanerinnen und Republikaner gingen dazu über, die Voruntersuchungen als "Polittheater" zu bezeichnen, für das es wegen fehlender Beweise keine Grundlage geben. "No quid pro quo", so der Schlachtruf – aber nicht lang.

Die Argumentation brach nämlich spätestens mit der Aussage William Taylors zusammen, eines über Parteigrenzen hinweg angesehenen Diplomaten. Taylor fungierte unter George W. Bush als US-Botschafter in der Ukraine, im Mai 2019 übernahm er erneut als Geschäftsträger der US-Botschaft in Kiew die Funktion der durch Trump abberufenen Diplomatin Marie Yovanovitch. Am 22. Oktober sagte Taylor in einer Kongressanhörung aus, dass Donald Trump die bereits zugesagte Militärhilfe und einen Besuch Selenskyjs im Weißen Haus direkt an die Bedingung geknüpft habe, dass der ukrainische Präsident Ermittlungen in zwei Fällen einleite: wegen Korruption gegen Joe Biden, gegen dessen früher in der Ukraine tätigen Sohn Hunter und gegen die Gasfirma Burisma, in deren Aufsichtsrat Hunter Biden saß. Und andererseits wegen der – längst widerlegten – Verschwörungstheorie, Moskau habe sich 2016 gar nicht in die US-Wahlen eingemischt, entsprechende Beweise hätte die Ukraine fingiert.

Auch Gordon Sondland, US-Botschafter bei der EU, bestätigte später in schriftlicher Ergänzung zu seiner Zeugenaussage den Eindruck Taylors. Die Worte eines glaubwürdigen Diplomaten und eines Ex-Trump-Vertrauten wogen schwerer als die Aussagen der Regierung: Ein Quidproquo, das scheint klar, hat es also gegeben.

... wäre es aber auch nicht schlimm

Daraus folgte: Taktikänderung Nummer drei musste her. Wer Trump nunmehr öffentlich in Schutz nahm, der oder die leugnete das Tauschgeschäft nicht mehr, sondern deutete dieses als arglos und als ohnehin gängige Praxis um. So erstaunte Mick Mulvaney nicht wenige Beobachter, als er während einer Pressekonferenz im Weißen Haus freiheraus einräumte, der Präsident habe die 391-Millionen-US-Dollar-Spritze an Kiew eingefroren, um Ermittlungen zu erzwingen. Später bestritt er seine vor versammelter Medienwelt getätigte Aussage.

Anschließend gingen Trump und Co dazu über, überhaupt den Inhalt der Causa zu meiden. Stattdessen attackierten sie die Motive der Demokraten und die verfassungsrechtliche Grundlage für die Ermittlungen. Was die demokratische Seite als Zeichen der Schwäche wertete, ist für die Republikaner also Strategie. Sie ist die vielleicht letzte, die noch bleibt – aber womöglich nicht die schlechteste. Denn nun geht es für die Partei darum, die Amtsenthebung als politisch inszeniertes Spektakel darzustellen, in dem es nicht um Fehlverhalten des Präsidenten oder gar um Wahrheit und Gesetz gehe, sondern um den Versuch der Demokraten, die Wahl von 2016 "gegen den Willen des Volkes" wieder umzudrehen.

Der anonyme Whistleblower wird angegriffen, es gibt Versuche, ihn zu demaskieren und ihm sowie allen, die gegen Trump aussagen, parteipolitische Motive zu unterstellen. Generalleutnant Alexander Vindman, hochdekorierter Veteran und Ukrainespezialist, wurde von der US-Regierung nach einer kritischen Aussage als Verräter dargestellt. Seine Loyalität sei zu hinterfragen, weil er in der Ukraine geboren ist. Verstärkt wird das durch Fox News und die rechte Medienechokammer.

Zudem gibt es Versuche, den Spieß umzudrehen: Nicht das Weiße Haus, sondern die Demokraten sollen Ziel von Untersuchungen werden. Trump will unter anderem Hunter Biden, Nancy Pelosi und den demokratischen Chef des Geheimdienstausschusses, Adam Schiff, als Zeugen laden lassen. Dass es dazu kommt, ist fast auszuschließen – den Diskurs verschieben solche Forderungen trotzdem. (Manuel Escher, Anna Giulia Fink, 13.11.2019)