241 Kinder mit Behinderung warten in Wien auf einen Kindergartenplatz. Für ihre Entwicklung wäre eine adäquate Förderung aber wichtig.

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Frau S. hat schon alles probiert, bevor sie sich an die anonyme Ombudsstelle "SOS Kindergarten" der Neos Wien wandte. Seit drei Jahren hat sie ihre nun vierjährige Tochter Mira*, die an Epilepsie leidet, bei der MA 10 (Wiener Kindergärten) für einen Platz in einem heilpädagogischen Kindergarten angemeldet, doch jedes Jahr kommt wieder eine Ablehnung. Die Begründung ist immer die gleiche: kein Platz.

"Der Fall ist leider kein Einzelfall", sagt Petra Pinetz vom Verein Integration Wien. Insgesamt warten derzeit in Wien, laut MA 10, 241 Kinder auf einen Platz in einem heilpädagogischen Kindergarten. "Die Kinder haben aber laut UN-Kinderrechtskonvention ein Recht auf Bildung", sagt sie. Der Kindergarten sei nun einmal die erste Bildungsstation im Leben.

Problematische Kriterien

"Ein Hauptproblem ist, dass ich Mira überall mit hinnehmen muss, weil ich niemanden für die Betreuung habe", sagt Frau S. Jeden Tag, wenn Miras Brüder, drei und sieben Jahre alt, abgeholt werden müssen, und auch bei allen anderen alltäglichen Erledigungen muss Mira mit. Aufgrund ihrer Behinderung ist das Mädchen jedoch besonders anfällig für Infektionskrankheiten. "Im Winter ist sie deshalb durchgehend krank", sagt Frau S.

Außerdem wäre eine adäquate Betreuung dringend notwendig für Miras Entwicklung. "Sie ist jetzt schon vier und kann immer noch nicht sprechen und gehen. Sie bräuchte dringend Physiotherapie", sagt Frau S. In heilpädagogischen Kindergärten gibt es dieses Angebot, derzeit bekommt Mira aber nur ein Stunde Physiotherapie pro Woche von der Stadt Wien. "Viel zu wenig", sagt Frau S. Jede weitere Stunde, die sie privat bezahlen müsste, würde 100 Euro kosten, "und das kann ich mir nicht leisten".

Die vorhandenen Plätze in heilpädagogischen Kindergärten werden nach bestimmten Kriterien vergeben. Eines davon ist das Alter der Kinder. Eine realistische Chance hat Mira demnach erst, wenn sie fünf Jahre alt ist und damit im verpflichtenden Kindergartenjahr. Ein weiteres Kriterium ist die Berufstätigkeit der Eltern, doch genau da beißt sich die Katze in den Schwanz. "Eltern können ja erst berufstätig sein, wenn ihre Kinder adäquat betreut werden", sagt Petra Pinetz.

Kein Personal

"Wir wissen, dass es zu wenig Plätze gibt, und sind mit der Situation auch nicht zufrieden", sagt Daniela Cochlár, Leiterin der MA 10. Das Problem seien aber nicht die Kindergartenplätze an sich, denn auch in diesem Jahr werde die Stadt Wien wieder 1600 davon schaffen. Die könnten jederzeit in Plätze für Kinder mit heilpädagogischem Bedarf umgewandelt werden, dafür fehle allerdings das nötige Fachpersonal. Um in einem solchen Kindergarten zu arbeiten, braucht man eine Zusatzausbildung zur Inklusionspädagogin. "Und für die Ausbildung ist der Bund zuständig", sagt Cochlár.

"Auch uns ist der Mangel bewusst", heißt es vom Bildungsministerium. Man stehe bereits mit den Ländern in Verhandlungen, um die Ausbildung von Elementarpädagoginnen bundesweit einheitlich zu gestalten, sodass auch die Länder selbst das notwendige Personal ausbilden können. Warum es den Mangel, nicht nur an Inklusionspädagoginnen, sondern auch an Elementarpädagoginnen generell gibt, wolle man allerdings nicht diagnostizieren.

"Es geht um Anerkennung, und es geht auch um Arbeitsbedingungen", sagt Raphaela Keller vom Berufsverband der Kindergartenpädagoginnen. Da sich keine Gewerkschaft zuständig fühle, gibt es bis heute keinen Kollektivvertrag für die Branche, und mit einem Mindestlohntarif von 2281 Euro sind Kindergartenpädagoginnen gehaltsmäßig schlechter gestellt als beispielsweise Volksschullehrer. Viele Kolleginnen würden auch über die Anzahl der Kinder pro Gruppe klagen, so Keller. Anstatt dass sich Bund und Stadt Wien gegenseitig die Schuld zuschieben, müssten sich alle an einen Tisch setzen und an Verbesserungen arbeiten, meint Keller. Dann gäbe es neben ausreichend Plätzen vielleicht auch wieder genug Pädagoginnen, und Kinder wie Mira würden die Unterstützung bekommen, die sie brauchen. (Johannes Pucher, 18.11.2019)