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Auf Betreiben der Sozialdemokraten und der Liberalen im Europaparlament muss Olivér Várhelyi noch Fragen beantworten.

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Brüssel – Wer EU-Kommissar werden will, muss sich im Finale eines komplexen Auswahlverfahrens vor allem mit den Abgeordneten des Europäischen Parlaments (EP) gut stellen. Das hatten sich Thierry Breton, Olivér Vár helyi und Adina Ioana Vălean für die Anhörungen in den EP-Fachausschüssen Donnerstag in Brüssel hörbar zu Herzen genommen. Die drei kamen als Ersatzleute für Kandidaten aus Frankreich, Ungarn und Rumänien, welche von den Mandataren als ungeeignet für einen Topposten erachtet wurden. Alle drei gaben sich inhaltlich streichelweich und legten sich bei heiklen politischen Fragen nicht fest, beantworteten Kritik an ihnen selbst oder an ihren Regierungen, mit ausladender Höflichkeit.

So gelobte der von Viktor Orbán, dem umstrittenen ungarischen Premier, nominierte Várhelyi, er werde als künftiger Kommissar für Erweiterung und Nachbarschaftspolitik absolut nur im europäischen Geist handeln. Orbáns Nähe zu Wladimir Putin oder Tayyip Erdoğan? Kein Thema für ihn.

Der gelernte Botschafter Várhelyi will sich bei der Erweiterung für die Balkanstaaten ins Zeug legen. Er beherrscht als Exmitarbeiter der Kommission das "Europageschäft" genauso wie die Rumänin. Vălean, die als EVP-Abgeordnete aus dem Parlament kommt, kollegial befragt, wie sie das Dossier Transport anlegen wolle: Natürlich wolle sie alles besser machen, vor allem den "Green Deal".

Millionenschweres Aktienportfolio

Ähnlich der französische Exfinanzminister Breton, der direkt von einem großen Digitalkonzern kommt. Vor allem grüne und linke Abgeordnete sahen Interessenkonflikte im Amt des künftigen Kommissars für Binnenmarkt, Digitales und Industrie. Kein Problem, beruhigte der Franzose, er werde sich strikt an die Regeln halten. Sein millionenschweres Aktienportfolio habe er verkauft.

So hätte man während der Anhörungen glauben können, dass Präsidentin Ursula von der Leyen keine Probleme mehr haben dürfte – dass sie also wie geplant am 1. Dezember mit der EU-Kommission offiziell antreten kann.

Ein Irrtum: Várhelyis geschmeidige Antworten reichten nicht, er bekam vorerst kein Grünes Licht, muss "nachsitzen" und im schriftlichen Verfahren weitere Fragen beantworten. Valean und Breton hingegen kamen durch.

Knifflige Rechtsfragen

Von der Leyen bleibt, wie berichtet, ein weiteres Hauptproblem: die Briten und Premierminister Boris Johnson. Dieser ließ am Donnerstag nach tagelangem Hin und Her wissen, dass er wegen der britischen Wahlen am 12. Dezember keinen Kandidaten nominieren werde. Damit würde das Kollegium aber nicht mehr den Regeln des EU-Vertrags entsprechen.

Die Reaktion aus Brüssel – eine Formalität – erfolgte noch am Abend: Die EU-Kommission eröffnete ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Großbritannien. Denn jedes der 28 Mitgliedsländer muss derzeit ein Mitglied in einer neu gewählten Kommission bekommen. Der Brexit wurde verschoben. Von der Leyen will sich davon nicht beeindrucken lassen.

Weil London trotz zweier Aufforderungsbriefe von ihr den EU-Pflichten (auf Nominierung) nicht nachkomme, könne ihr Team mit nur 27 statt 28 Mitgliedern starten. So sehen das zumindest ihre Juristen in der Kommission. Offen ist, ob die Regierungschefs der EU-27 das ebenso interpretieren und einen entsprechenden (zwingend nötig einstimmigen) Beschluss dazu fällen. Johnson müsste mitmachen. Dann bleibt die wichtigste Frage: Ob das Parlament diese Rechtsansicht, die am Ende vom europäischen Höchstgericht in Luxemburg zu klären wäre, auch von den EU-Abgeordneten geteilt wird; ob sie über den Start am 1. Dezember abstimmen – oder ob von der Leyen bis Jänner warten muss. (Thomas Mayer aus Brüssel, 14.11.2019)