Bild nicht mehr verfügbar.

Fischhäute eigneten sich gut als Ersatz für die zunehmend verbannten Produkte aus Schlangen- und Krokodilleder. Über kurz oder lang droht die lange von indigenen Völkern gepflegte Kunst verlorenzugehen

Foto: Reuters/MICHAELA REHLE

Bis vor kurzem wurde im Norden Islands, in der einzigen industriellen Fischgerberei Europas Leder hergestellt. Kürzlich kam das Aus: Der Betrieb musste Konkurs anmelden. Die Hoffnungen, mit dem Fischleder in der Modebranche durchstarten zu können, erfüllten sich nicht. Dabei hatte es vor drei Jahren, als die jetzigen Eigentümer Atlantic Leather die Gerberei Sjávarleður in Sauðárkrókur übernahmen, gar nicht so schlecht ausgesehen. Mit dem Schließen der Firma verlieren jetzt nicht nur 14 Bewohner der rund zweieinhalbtausend Seelen zählenden Siedlung in Nordwestisland ihren Job. Auch eine alte Tradition geht damit zu Ende.

Über Jahrhunderte war die Gerberei ein ertragreiches Gewerbe in Island. Seit dem zwölften Jahrhundert wurden auf der Nordatlantikinsel Tierhäute zu Kleidung und Schuhen verarbeitet. Anfang des 20. Jahrhunderts entwickelte sich daraus ein kleiner Industriezweig: In rund einem Dutzend, über die ganze Insel verteilten Gerbereifabriken arbeiteten zeitweise mehrere Hundert Menschen. Verarbeitet wurden vor allem Seehundhäute und Schaffelle, aber auch Pelze von Füchsen und Bären. Die große Krise kam Anfang der 1990er-Jahre, als die Märkte für die Produkte weltweit einbrachen. Vor allem der Zusammenbruch der Sowjetunion, die vorher Hauptabnehmer für die isländischen Pelze war, erwies sich als fatal. Eine Gerberei nach der anderen musste zusperren.

Idee aus Nordamerika

Die scheinbar rettende Idee kam der damaligen Eigentümerin von Sjávarleður, als sie hörte, dass in Nordamerika Leder aus Fischhäuten produziert wird. Eine kanadische Firma hatte sich das Wissen der dortigen Ureinwohner über das Haltbarmachen und Verarbeiten von Fischhäuten zunutze gemacht. Da erschien es Gerbereichefin Steinunn Gunnsteindóttir, nicht zuletzt angesichts der gigantischen Mengen an unverwerteten Abfällen aus der heimischen Fischindustrie, naheliegend, es ebenfalls damit zu probieren.

Weil die Kanadier für ihr Know-how zu viel Geld verlangten, entschloss man sich, es selbst zu probieren. Nach dutzenden Fehlversuchen klappte es, und für die Firma begann ein kurzer Höhenflug, gekrönt von einer Goldmedaille für das beste Lederprodukt der Welt auf einer Branchenmesse in Hongkong im Jahr 2003. Die Erfolgswelle des an Reptilienhaut erinnernden Fischleders ergab sich unter anderem aus dem weltweiten Bann von Lederprodukten bedrohter Reptilienarten, allen voran Schlangen- und Krokodilleder. Zur Anwendung kam das Fischleder vorwiegen in der Herstellung von Modeaccessoires wie Taschen, Gürtel oder Krawatten.

Dann geriet der Fisch- beziehungsweise der Reptilienlook außer Mode, und die Umsätze brachen ein. 2016 meldete Gunnsteindóttir Konkurs an. Mithilfe der Investoren von Atlantic Leather gelang es, den Betrieb noch einmal zu retten und ein Gästezentrum mit Shop zu errichten.

Seit Urzeiten gepflegte Kunst

Dank des Tourismusbooms zählte man 20.000 Besucher im Jahr und vor allem dank der als Souvenir beliebten Schaffelle auch wieder brauchbare Erträge. Dennoch war es letztlich zu wenig. Zwar hofft man jetzt in Sauðárkrókur immer noch, neue Investoren zu finden und den Betrieb in irgendeiner Form aufrechterhalten zu können, aber derzeit deutet alles darauf hin, dass die von indigenen Völkern in Sibirien und Alaska seit Urzeiten gepflegte Kunst der Fischledererzeugung in Europa damit zu Ende ist.

Für kurze Zeit gab es schon einmal eine Fischlederindustrie in Europa. Während des Zweiten Weltkriegs zog man in Deutschland – wegen des Mangels an anderen geeigneten Rohstoffen – auch Fischhäute für die Herstellung von Weichledererzeugnissen wie Innensohlen von Schuhen, Handschuhen oder Keilriemen heran. Nach dem Schließen des Souvenirshops in Sauðárkrókur bleibt für Fans in Europa aber noch der Weg nach Deutschland – oder ins Waldviertel.

Steigendes Interesse

Im bayrischen Viechtach betreibt ein Sibirier ein Atelier, in dem er in Handarbeit verschiedene Produkte herstellt, und ein Fischledermuseum. In Reitzenschlag im nördlichen Waldviertel beschäftigt sich der aus einer Holzunternehmerdynastie stammende Rudolf Schuh seit 20 Jahren ebenfalls mit dem ungewöhnlichen Werkstoff. Sein Herstellungsverfahren ist ein spezielles. Es werde auch ständig verfeinert. In den letzten Jahren sei das Interesse an Fischleder kontinuierlich gewachsen, zeigt sich Schuh über die Zukunftsaussichten seines unter dem chinesischen Namen für das tungusische Volk der Nanai, Yupitaze, firmierenden Familienbetriebs optimistisch. „Im Sommer kommen die Leute inzwischen busweise zu uns. Da geht sich kaum noch ein Urlaub für einen von uns aus.“ (Andreas Stangl, 15.11.2019)