Grandios und mit geballter Ausdruckskraft zeigt Georg Nigl einen in der Verzweiflung gebeugten Orest.

Pöhn

Nun ist also nach langem Warten – ganz zum Ende der Amtszeit von Direktor Meyer – doch noch das Zeitgenössische an der Wiener Staatsoper angekommen. In den Wintermonaten sogar so verdichtet, als wäre es Normalität: Drei Tage vor Weihnachten wird eine (weitestgehend tonale) Kinderoper (Persinette von Albin Fries) aus der Taufe gehoben, am Marienfeiertag mit Orlando jenes neue Werk von Olga Neuwirth, das die Voraussetzungen der Gattung Oper neu zu befragen verspricht. Damit leistet es, was neue Werke explizit tun oder zumindest mitreflektieren sollten, wobei Stauds Weiden, die kürzlich dreimal gegeben wurden, dies zumindest anklingen lassen.

Eine normale Oper

In Manfred Trojahns Orest ist nichts von einer solchen Auseinandersetzung zu verspüren. Zwar nennt es sich stolz „Musiktheater“, ist aber an konventionellster Opernhaftigkeit kaum zu überbieten. Das Libretto des Komponisten ist bieder und funktional, die Musik wirkt zwischen Richard Strauss und Alban Berg steckengeblieben und kann das auch durch einige modernistische Farbtupfer nicht kaschieren.

Das expressive Ausreizen freitonaler Intervalle wie vor 100 Jahren in den Gesangspartien klingt hohl, ihre Steigerungen gehen ins Leere. Die Drastik der Handlung wirkt aufgesetzt. Und leider entsteht auch in der Inszenierung von Marco Arturo Marelli, die Modernität, Poesie und Archaik fusionieren will, das Lächerliche dort, wo das Erhabene gesucht wurde.

Vokal in sehr guter Form

An der musikalischen Umsetzung liegt das nicht. Exzellent zeigt Michael Boder mit dem Staatsopernorchester auf, wie gekonnt die Partitur gearbeitet ist, dem reinen Hörerlebnis ist Schönheit nicht abzusprechen. In Kategorien des Gesangs wäre ebenfalls alles in bester Ordnung: Mit souveräner Leichtigkeit gibt Michael Laurenz den Menelaos, mit kontrollierter Höhe Ruxandra Donose die Elektra. Mit ihrer wohldosierten Dramatik ist Laura Aikin (Helena) eine Luxusbesetzung, handfeste Tenordramatik kommt von Daniel Johansson (Apollo/Dionysos), schönste schlanke Koloraturenvirtuosität von Audrey Luna (Hermione).

Grandios und mit geballter Ausdruckskraft zeigt Georg Nigl einen in der Verzweiflung gebeugten Orest, der sich in Trojahns Lesart nicht mehr dem Schicksal und den Göttern fügt, sondern sein eigenes Leben in die Hand nimmt. Diese Variante wäre ein in der Tat produktiver dramaturgischer Ansatz, der freilich in der Wirkung innerhalb des Stücks restlos verpufft. Denn die Musik bleibt eher solides und recht austauschbares Kunsthandwerk (Daniel Ender, 16.11.2019)