Der Wahrnehmungsbericht des Justizministers zählt zahlreiche Mängel in der Justiz auf, unter anderem auch im Maßnahmenvollug, im Bild die Justizanstalt Stein.

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Wien – Die Justiz braucht nächstes Jahr 90,6 Millionen Euro mehr, um den Status quo aufrechtzuerhalten. Darüber hinaus bräuchte es Geld für notwendige Maßnahmen in den Problembereichen Kanzleipersonal, Strafvollzug, Sachverständige und Dolmetscher sowie Bundesverwaltungsgericht, das sich mit Asylfällen befasst. Diese Bilanz zieht der am Freitag veröffentlichte Wahrnehmungsbericht von Justizminister Clemens Jabloner, in dem von einem langen Niedersparen der Justiz die Rede ist.

55 Seiten mit Maßnahmen, Empfehlungen und Reformvorhaben legt der Übergangs-Ressortchef rechtzeitig vor Start der Budgetverhandlungen dem Bundespräsidenten, der Bundeskanzlerin und den Parteien vor. Darunter findet sich auch eine für die laufenden Koalitionsverhandlungen interessante Empfehlung: Das Justizministerium sollte wieder auf seinen Kernbereich zurückgeführt werden, also der 2017 zur Justiz übersiedelte Verfassungsdienst ins Bundeskanzleramt zurückkehren.

Keine Info über Anzeigen mehr

Als ein Ergebnis der Arbeitsgruppe zum Bereich Staatsanwälte kündigt Jabloner an, dass die Staatsanwaltschaften künftig das bloße Einlangen einer Anzeige gegenüber Medien nicht mehr bestätigen. Anzeigen sind – nicht zuletzt im heurigen Wahlkampf – zu einem nicht selten auch gegen politische Mitbewerber eingesetzten Mittel geworden. Sie führen aber nicht immer zu Ermittlungen, sondern werden oft auch wegen mangelnder Substanz zurückgelegt. Deshalb soll, wird im neuen Medienerlass verfügt werden, künftig erst dann Auskunft erteilt werden, wenn die Entscheidung – Einleitung der Ermittlungen oder nicht – gefallen ist.

Zahlungsausfall möglich

Werden im Jahr 2020 die eingangs genannten 90,6 Millionen Euro mehr – bei einem Gesamtbudget von 1,7 Milliarden Euro – nicht für die Aufrechterhaltung des Justizbetriebs bereitgestellt, komme es zu Kürzungen. Diese beträfen dann zum Beispiel Bauvorhaben, die Instandhaltung von Gerichten und Justizanstalten oder die Ausbildung. Und es käme zum Zahlungsausfall, steht in dem Bericht.

"Verfahrensverzögerungen"

Im Personalbereich habe das "Niedersparen" des gerichtlichen Fachdienstes 300 Planstellen gekostet. Die Leistungsfähigkeit der Gerichte sei bereits schwer beeinträchtigt, es gebe "gravierende Qualitätseinbußen und Verfahrensverzögerungen". Deshalb plädiert Jabloner für den "Stopp des Konsolidierungspfades" und 100 neue Posten im Kanzleibereich.

20 Planstellen mehr bräuchten Staatsanwälte und Richter angesichts der neuen Bedrohungen wie Terrorismus oder Cybercrime. Das Bundesverwaltungsgericht könnte nur mit zehn Richtern und 40 juristischen Mitarbeitern mehr den großen Rucksack an Asylverfahren aus der Flüchtlingswelle abbauen.

Mängel im Maßnahmenvollzug

Auf mehr Personal pocht Jabloner auch für den Strafvollzug, außerdem sollte mittelfristig das Justizwachepersonal in die Schwerarbeiterregelung aufgenommen werden. Um die "sachlichen und personellen Schwachstellen" in den Griff zu bekommen, seien aber dringend schon von seinen Vorgängern eingemahnte Reformen, etwa jene des Maßnahmenvollzugs, geboten – die bisher aus Geldmangel nicht umgesetzt werden konnten.

"Eklatanten Mangel" stellte Jabloner insbesondere im Strafverfahren an medizinischen Sachverständigen (vor allem aus dem Bereich der Jugendpsychiatrie) und Dolmetschern fest. Dieser ist vor allem auf die unzureichende Dotierung zurückzuführen – und so pocht Jabloner auf die Erhöhung der Gebühren.

Selbst "keine großen Schritte"

Den geschilderten Missständen zu begegnen wird "meiner Amtsnachfolgerin beziehungsweise meinem Amtsnachfolger übertragen sein", stellt Jabloner fest. Als Übergangs-Ressortchef habe er keine großen wirksamen Schritte setzen können – aber immerhin sei es gelungen, die heuer bereits drohende Zahlungsunfähigkeit (durch Auflösung von Rücklagen, Anm.) abzuwenden.

Von seinem Vorgänger Josef Moser "geerbt" hat Jabloner das Thema Bezirksgerichte: Ein jüngst bekanntgewordener Arbeitsgruppenbericht mit Empfehlungen für die Zusammenlegung kleiner Einheiten hat zu scharfen Reaktionen geführt. Jabloner wirbt um Verständnis für die Situation des Ministeriums – das von Rechnungshof und Finanzministerium immer zu sparsamer Organisation gedrängt werde. Das Thema werde die nächste Regierung beschäftigen – und vielleicht sogar im Rahmen der Finanzausgleichsverhandlungen zu regeln sein. (APA, 15.11.2019)