Kein Horrorthriller, sondern eine ins Komödiantische vorstoßende Groteske: Leonie Wahl hat zusammen mit Regisseur Ernst Kurt Weigel aus einem persönlichen Trauma einen Tanztheaterabend gemacht.

Günter Macho

Irgendwo in der Toskana fahren eine Mutter und ihre beiden kleinen Töchter mit dem Auto zum Bahnhof. Unterwegs beschließt die Mutter, bei einer Telefonzelle anzuhalten, führt ein kurzes Gespräch und erleidet dabei ihren ersten psychotischen Schub. Von da an ist nichts mehr, wie es war im Leben von Leonie Wahl und ihrer Schwester.

Das geschah Ende der Eighties. Nun lebt Wahl (42) seit Jahren als Tänzerin und Choreografin in Wien. Erst jetzt hat sie – zusammen mit Regisseur Ernst Kurt Weigel – aus ihrem traumatischen Erlebnis ein Tanztheaterstück gemacht, das derzeit im Theater Off White Box zu sehen ist: "This is what happenend in the Telephone Booth".

Abtauchen in die Psyche

Ein großartiger Stoff, dessen Umsetzung mit einer heiklen Methode erfolgt: Das Publikum wird zwar zu Beginn genau über die Geschichte informiert, doch dann folgt ein Tauchgang in die rätselhafte Welt einer Psyche, deren Wahrnehmungen unvermittelt implodiert sind.

Diese Deformation erreicht das Publikum als atmosphärische Druckwelle und als tänzerisch-schauspielerisches Echo. Das Duo Wahl und Weigel führt keinen Horrorthriller vor, sondern eine wiederholt ins Komödiantische vorstoßende Groteske.

Das einzige Requisit auf der Bühne ist eine nachgebaute Telefonzelle, deren Glaswände durch ein intransparentes Hautimitat aus Latex ersetzt ist. Leonie Wahl tanzt sich selbst als Verkörperung der Erzählung, aber sie wird mit einem weiblichen Gegenüber konfrontiert und hat drei männliche Figuren an ihrer Seite, über deren Rollen in der erst so klar scheinenden Geschichte kein Wort verloren wird.

Das Grauen gesehen

Eine nach der anderen treten diese Gestalten aus der Telefonzelle wie Gespenster aus den Halluzinationen der Mutter oder aus den Erinnerungen der Tochter. Mann Nummer eins wirkt wie paralysiert – "Ich habe das Grauen gesehen" –, der nächste kommt im Kleidchen, der dritte könnte ein Wiedergänger des abwesenden Vaters sein.

Regisseur Weigel inszeniert den Witz des Wahnsinns, Choreografin Wahl betont in den Tanzpassagen die innere Zerreißprobe für alle Beteiligten. Etwas weniger Ironie und mehr atmosphärische Spannung hätten dieser durchaus sehenswerten Arbeit gutgetan. (Helmut Ploebst, 15.11.2019)