Wer gezwungen ist, derart in Innsbrucks Maria-Theresien-Straße zu nächtigen, wird bestraft.

Foto: Florian Lechner

Innsbruck – Bürgermeister Georg Willi (Grüne) möchte die Verbotspolitik in seiner Stadt beenden. Mit dieser Ankündigung ließ der Innsbrucker Politiker in den vergangenen Tagen aufhorchen. Zuerst soll das Bettelverbot, dann nach und nach die sieben Alkoholverbote bis hin zum umstrittenen, aber höchstgerichtlich für in Ordnung befundenen Nächtigungsverbot für Obdachlose fallen. Doch Willi regiert mit einer Viererkoalition aus Für Innsbruck (FI), SPÖ sowie ÖVP und ist daher auf Mehrheiten im Gemeinderat angewiesen, um diese Vorhaben umzusetzen.

Genau die fehlen ihm aber. Denn neben der oppositionellen FPÖ sind seine Partner ÖVP sowie FI für die Beibehaltung der Verbote. Mit Letzteren konnten die Grünen nun vereinbaren, einen "Stufenplan" auszuarbeiten, der den Weg zu künftigen Gesprächen über eine mögliche Aufhebung einzelner Verbote ebnen soll. Allerdings hält dazu der stellvertretende FI-Klubobmann Markus Stoll fest: "Dieser Plan existiert noch nicht." Und wenn er denn stehe, gelte es zuerst, Rahmenbedingungen zu schaffen, die Verhandlungen möglich machen.

Konsumraum für Alkoholkranke

Während das noch sehr vage klingt, wurden in Sachen Rahmenbedingungen betreffend Alkoholverbote bereits Tatsachen geschaffen. Ende Oktober öffnete der Konsumraum Nikado seine Pforten in der Matthias-Schmid-Gasse. Dieses Angebot zielt auf Alkoholkranke und Obdachlose ab. 365 Tage im Jahr, von 12.30 bis 18.30 Uhr, darf in den Räumlichkeiten von Nikado mitgebrachter Alkohol, ausgenommen Hochprozentiges, konsumiert werden. Wer will, kann sich zudem von anwesenden Sozialbetreuern zu möglichen Hilfsangeboten beraten lassen. Ausgeschenkt wird nur Antialkoholisches.

Für Bürgermeister Willi ist Nikado ein Schritt in Richtung Aufhebung der Alkoholverbote. Wenn die Einrichtung gut angenommen wird, will er sie dazu nutzen, seine Koalitionspartner davon zu überzeugen, dass die Verbote in der Innenstadt obsolet seien, weil man eben ein Angebot für diese Menschen geschaffen hat. Er argumentiert, dass die Betroffenen durch die Verbote allein nur in Wohngebiete abgedrängt werden, wo es zu Konflikten mit Anwohnern kommt.

Verhältnisse werden zementiert

Allerdings bezweifeln Experten, wie Peter Grüner vom Verein Dowas, der Arbeits- und Wohnungssuchende betreut, die Sinnhaftigkeit solcher Angebote. "Weil sie die Verhältnisse nur zementieren, statt Lösungen zu bieten." Anstatt die Vertreibungspolitik gegen im öffentlichen Raum unliebsame Personen zu hinterfragen, schaffe man mehr und mehr Orte an der Peripherie, wo man diese Menschen abseits der öffentlichen Wahrnehmung halten kann.

In den ersten Wochen nach der Eröffnung des Konsumraumes wurde sogar ein Shuttleservice angeboten, der das Nikado-Klientel in der Innenstadt aufsammelte und in die Einrichtung verfrachtete – auf freiwilliger Basis. Diesen Service gibt es mittlerweile nicht mehr, da die Einrichtung gut angenommen werde, heißt es dazu seitens der Betreiber, den Tiroler Sozialen Diensten (TSD), ein Landesunternehmen.

Sozialplanung gefordert

Grüner bezweifelt dennoch, dass diese Maßnahmen langfristig zielführend sind und dadurch die Verbots- sowie Vertreibungspolitik beendet werden. Er fordert von den Verantwortlichen in Stadt und Land "vorausschauende und vernunftgeleitete Sozialplanung". Die Expertise dafür wäre bei den etablierten, darauf spezialisierten Einrichtungen vorhanden. Doch anstatt dieses Wissen zu nutzen, würden immer mehr große Player in das Feld drängen: "Es werden Sozialprojekte etabliert, die keine spezielle Expertise haben und von der öffentlichen Hand betrieben werden."

Die sozialen Schieflagen seien auf strukturelle Ursachen zurückzuführen, betont der Dowas-Experte mit Verweis auf den Innsbrucker Wohnungsmarkt. Nur die Folgen zu bekämpfen, greife zu kurz. Bürgermeister Willi möchte seine Koalitionspartner durch Angebote wie Nikado überzeugen, von der Verbotspolitik abzurücken. (Steffen Arora, 15.11.2019)