Arbeitnehmer haben das Recht auf bezahlten Urlaub, freie Dienstnehmer nur auf unbezahlten. Wer glaubt, falsch eingestuft zu sein, muss in Österreich rechtzeitig klagen.

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Bezahlter Urlaub ist ein zentraler Grundsatz des europäischen Sozialrechts. Vor zwei Jahren hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) in einem britischen Fall entschieden, dass Urlaubsansprüche nicht verjähren, wenn der Arbeitnehmer unverschuldet an der Ausübung des Urlaubs gehindert war – etwa weil er fälschlicherweise als Selbstständiger ohne Urlaubsanspruch eingestuft worden ist (EuGH, 29. 11. 2017 – C-214/16, King).

Nun hat der Oberste Gerichtshof (OGH) in einem scheinbar ähnlichen Fall entschieden, allerdings mit einem anderen Ergebnis: Die im österreichischen Urlaubsrecht vorgesehene Verjährung ist nicht per se unionsrechtswidrig. Sie kann die Ansprüche eines vermeintlich freien Dienstnehmers vernichten. Es sei denn, er bringt noch im aufrechten Dienstverhältnis Klage ein (OGH 29. 8. 2019, 8 ObA 62/18b).

Ein Callcenter-Agent war drei Jahre als freier Dienstnehmer beschäftigt. Freizeit hatte er zwischen seinen Einsätzen genug, allerdings unbezahlt. Dass er aufgrund der Umstände seiner Tätigkeit in Wahrheit Arbeitnehmer war und somit Anspruch auf bezahlten Urlaub hatte, ahnte er zunächst nicht.

Nach Beendigung der Zusammenarbeit aber klagte er neben Entgeltdifferenzen zum kollektivvertraglichen Mindestgehalt auch Urlaubsersatzleistung für 64 Tage ein.

Verjährung

Vor dem OGH war nicht mehr zweifelhaft, dass eine Anstellung vorlag. Gestritten wurde nur noch darum, ob der Urlaub teilweise verjährt und daher auch nicht mehr vollständig finanziell abzugelten ist.

Der Kläger berief sich auf die EuGH-Rechtsprechung zum unionsrechtlichen Anspruch auf jährlichen Mindesturlaub: Er habe keine Möglichkeit gehabt, Urlaub zu konsumieren. Deshalb sei sein Anspruch nicht verjährt.

Als Arbeitnehmer stand dem Kläger laut OGH ein Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub zu. Das ist nicht mit der Möglichkeit eines freien Dienstnehmers zu vergleichen, unbezahlte arbeitsfreie Tage nach eigenem Wunsch in Anspruch zu nehmen. Allerdings verjährt der Urlaubsanspruch nach Ablauf von zwei Jahren ab dem Ende des Urlaubsjahres, in dem er entstanden ist.

Nach der EuGH-Rechtsprechung ist nicht ausgeschlossen, dass eine nationale Regelung den Verlust des Urlaubsanspruchs am Ende eines Bezugs- oder Übertragungszeitraums vorsieht, sprich: Urlaubsverjährung ist nicht immer unionsrechtswidrig.

Wirksamer Rechtsbehelf

Voraussetzung für die Urlaubsverjährung ist aber, dass der Arbeitnehmer eine faktische Möglichkeit hat, seinen Anspruch auszuüben. Für den Fall, dass über den Urlaubsanspruch gestritten wird, muss dem Arbeitnehmer daher laut EuGH ein wirksamer Rechtsbehelf zur Verfügung stehen.

Der Arbeitnehmer darf nicht gezwungen sein, seinen Urlaub zu nehmen, ohne zu wissen, ob er währenddessen weiter bezahlt wird. Daher kann sich ein Arbeitgeber, der den rechtzeitigen Konsum bezahlten Urlaubs durch sein Verhalten verhindert hat, nicht auf die Verjährung berufen.

Anders als im Fall King konnte der Callcenter-Agent seinen Jahresurlaub auf zwei Folgejahre vortragen, er hatte daher insgesamt drei Jahre zum Verbrauch eines jeden Jahresurlaubs zur Verfügung.

Es steht ihm im Streitfall auch ein effizienter Rechtsbehelf offen, nämlich die Feststellungsklage nach § 228 ZPO. Damit kann ein Dienstnehmer, der als Scheinselbstständiger oder freier Dienstnehmer arbeitet, klären lassen, ob sein Vertragsverhältnis den arbeitsrechtlichen Bestimmungen, insbesondere dem Urlaubsgesetz, unterliegt. Eine solche Klage hat für ihn den Vorteil, dass sie die Verjährungsfrist unterbricht.

Nimmt ein Arbeitnehmer diese Möglichkeit nicht in Anspruch, ist gegen die Verjährung des Urlaubsanspruchs nur mehr ein Einwand möglich: dass der Arbeitgeber die gerichtliche Geltendmachung durch Handeln wider Treu und Glauben verhindert hat.

Eine solche „Arglist“ liegt aber nicht schon deshalb vor, weil der Arbeitgeber eine andere – nämlich falsche – Auffassung über die rechtliche Qualifikation eines Beschäftigungsverhältnisses hat.

Ergebnis: Dem Callcenter-Agenten wäre die Feststellungsklage offengestanden, sein Arbeitgeber hat ihn daran nicht gehindert. Wenn der Urlaub nun verjährt ist, verletzt das die EuGH-Judikatur nicht.

Keine Warnpflicht

An der Entscheidung des OGH erstaunt allerdings, dass sie auf das sehr arbeitnehmerfreundliche EuGH-Urteil C-684/16 vom 6. 11. 2018 (Shimizu) nicht eingeht. Darin hat der EuGH verlangt, dass der Arbeitgeber seine Arbeitnehmer vor der drohenden Urlaubsverjährung warnt und ihnen den rechtzeitigen Konsum ermöglicht.

Tut er das nicht, kommt es zu keiner Urlaubsverjährung, und am Ende des Dienstverhältnisses ist finanzieller Ersatz zu leisten. Diese Warnpflicht wollte der OGH dem Arbeitgeber eines fälschlich als freier Dienstnehmer Beschäftigten nicht aufbürden – aus Arbeitgebersicht eine gute Nachricht. (Kristina Silberbauer, 18.11.2019)