Demonstranten zündeten im Zuge der Proteste eine Bank in Eslamshahr an.

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Nun gehen die Menschen also auch noch im Iran auf die Straße: Ausgelöst von einer Benzinpreiserhöhung und -rationierung, brach sich am Wochenende der Zorn der Iranerinnen und Iraner darüber Bahn, dass sie, wie sie es sehen, die Rechnung für die politischen Fehler ihrer Führung bezahlen müssen. Wie derzeit auch in anderen Ländern des Nahen Ostens – und nicht nur dort – wurde deshalb bald nicht mehr nur gegen das aktuelle Ärgernis demonstriert, sondern gegen „das System“ an sich.

Dieses antwortet mit reflexartigem Mauern: Obwohl von unterschiedlichen Seiten – Parlament, wichtige Geistliche – Verständnis für die Anliegen der Demonstranten kommt, sieht die iranische Führung allein „das Ausland“ hinter den Protesten. Richtig ist, dass sich die politischen Forderungen zum Teil tatsächlich mit jenen decken, die die internationalen Gegner des Iran vorbringen. Ein Protestslogan etwa heißt „Nein zu Gaza, nein zum Libanon!“. Übersetzt: Uns in einem der ölreichsten Länder der Welt fehlt es an allem, während iranische Protegés wie Islamischer Jihad im Gazastreifen und die Hisbollah im Libanon weiter finanziert werden.

Bilder verbrannt

Dazu kommt, dass auch in Staaten, wo der Iran offen Einfluss ausübt, der darüber angestaute Unmut ausgebrochen ist. Am eklatantesten ist das im Irak, wo Bilder des religiösen Führers des Iran, Ali Khamenei, verbrannt und Iran-freundliche Gruppen angegriffen wurden. Im Libanon wird nicht etwa explizit nur gegen die mit dem Iran verbündete Hisbollah demonstriert. Aber sie wäre eine große Verliererin, wenn das derzeitige konfessionelle Quotensystem, in dem der Platz für jede Gruppe in der Verwaltung des Landes fest verankert ist, abgeschafft würde. Auch hier demonstrieren die Menschen dafür, dass sich die Politik erst einmal um die eigenen Bürger kümmert – und nicht wie die Hisbollah im Nachbarland Syrien dafür kämpft, um einen Diktator an der Macht zu halten.

In den Kriegsländern Syrien und Jemen, wo die vom Iran unterstützten Huthis weiterhin die Kontrolle über den Norden haben, steht naturgemäß niemandem der Sinn nach Protesten. Aber der Backlash für den Iran wird eines Tages kommen: Nicht einmal die verbohrtesten Ideologen in Teheran können glauben, dass die ganz normalen Syrer und Jemeniten ihnen einst danken werden, dass sie eine so wichtige Rolle auf Irans regionalpolitischen „Achse des Widerstands“ einnehmen – und dafür bluten – durften.

Hunderte Getötete

Im Irak geht die Zahl der bei den Demonstrationen Getöteten bereits in die Hunderte – und nein, sie starben nicht bei „Auseinandersetzungen“ mit den Sicherheitskräften, wie es immer heißt, viele wurden einfach hinterrücks abgeknallt. Im Iran wird den Demonstranten offen damit gedroht, dass wenn sie nicht aufgeben, Gewalt gegen sie gebraucht werden wird, und jeder weiß, was das bedeutet.

Politisch könnte die Eskalation das frühe Ende der Ära des pragmatischen Präsidenten Hassan Rohani, dessen Amtszeit eigentlich noch bis 2021 laufen würde, einläuten – zugunsten der Hardliner. Die Iran-Falken in Washington mögen angesichts der Bilder aus vielen iranischen Städten bereits ihren Traum von „regime change“ in Teheran in Erfüllung gehen sehen. Viel wahrscheinlicher ist aber eine neue repressive Wende, die auch negative Auswirkungen auf die in der Region – das heißt: ohne die USA – laufenden Versuche haben wird, Entspannung am Golf herbeizuführen. (Gudrun Harrer, 18.11.2019)