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Alexander Lukaschenko, Präsident.

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Im Mai 2018 wurde Maria Wasiljewitsch zur Miss Weißrussland gekrönt, nun ist sie Abgeordnete in Minsk.

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Die Gus-Wahlbeobachter taten das, wofür sie eingeladen wurden: Sie lobten die Organisation der Parlamentswahl in Weißrussland und "haben keine ernsthaften Verstöße festgestellt", wie der Vizechef der russischen Wahlkommission, Nikolaj Bulajew, betonte.

Die Opposition sprach zwar von über 600 Verstößen, und die OSZE will ihr Urteil später verkünden, doch Staatschef Alexander Lukaschenko hat bereits deutlich gemacht, wie er dazu steht. Einem Wahlbeobachter in Brest, der einen mehrfachen Stimmzetteleinwurf filmte und zu verhindern suchte, drohte Lukaschenko, ihm "den Kopf zurechtzurücken". Wenn sich die Beobachter auf die Wähler stürzten, müsse die Miliz eingreifen, um solche Provokationen zu verhindern, forderte der Staatschef und fügte hinzu: "Sie wissen, wie unsere Miliz das kann."

Wenig schweißtreibende Kritik

Auch wegen möglicher westlicher Kritik werde er "nicht ins Schwitzen geraten", verriet Lukaschenko. Er weiß, dass ihm vom Westen derzeit kaum neue Sanktionen drohen. Trotz der selbst für Weißrussland enorm hohen Briefwahlquote von über 35 Prozent (bei insgesamt 77 Prozent Wahlbeteiligung), die Tür und Tor für Manipulationen öffnet. Trotz des Ausschlusses aller bekannten Oppositionspolitiker und selbst der beiden einzigen Oppositionellen, die es in das vorhergehende Parlament geschafft hatten.

Und so sieht die Zusammensetzung des neuen Repräsentantenhauses für Lukaschenko (noch) besser aus als das alte Taschenparlament. Anstelle der Opposition sitzt dort nun "Miss Weißrussland". Eine Machtdemonstration! Und diese hat der 65-Jährige zu einem kräftigen Rundumschlag gegen Russland genutzt.

Handelsdefizit

Nach seiner Stimmabgabe stellte sich Lukaschenko vor die Presse, um die Hackordnung in der Russisch-Weißrussischen Union infrage zu stellen. Es dürfe nicht sein, dass Weißrussland im bilateralen Handel jedes Jahr ein Defizit von neun Milliarden Dollar mache, sagte er. "Woher soll ich diese neun Milliarden nehmen, um die russischen Waren zu bezahlen?", fragte er rhetorisch und forderte, einerseits die Rohstoffpreise – wichtigste Importgüter sind Öl und Gas – auf russisches Inlandsniveau zu senken, andererseits den russischen Markt stärker für weißrussische Produkte zu öffnen. Stattdessen würden immer höhere Barrieren aufgebaut, klagte er. So eine Union brauche er nicht.

Eine weitere Integration werde es nur geben, wenn diese aus Minsker Sicht akuten wirtschaftlichen Fragen gelöst werden, kündigte Lukaschenko an. Zudem machte er klar, dass er keine weiteren Vollmachten an einen eventuellen Föderationsstaat delegieren will. "Ich werde kein Dokument unterzeichnen, das der Verfassung und den Grundprinzipien unserer Gesellschaft widerspricht. Und das wichtigste Prinzip hierbei ist die Souveränität und Unabhängigkeit unseres Staates", erteilte er allen Spekulationen über eine Vereinigung mit Russland eine Absage.

Vorteile "unverrückbar"

Der stellvertretende Leiter des Gus-Ausschusses in der Duma, Konstantin Satulin, bezeichnete Lukaschenkos Ausfall als Feilschen um bessere Bedingungen, während Wladimir Putins Sprecher Dmitri Peskow ironisch erklärte, der Kreml habe die "Emotionalität und die Wortwahl Lukaschenkos zur Kenntnis genommen", gehe aber weiter davon aus, dass die Vorteile des Unionsstaats für beide Seiten "unverrückbar" seien.

In Moskau sieht man Lukaschenko zusehends als Blockierer einer stärkeren Integration, die die russische Führung vor allem auf militärischer und sicherheitspolitischer Ebene vorantreiben möchte. So stemmt sich Minsk gegen die Stationierung russischer Truppen im eigenen Land. Lukaschenko schlug stattdessen zuletzt vor, Russland könne gratis Waffen nach Weißrussland liefern, damit der Nachbar die gemeinsame Außengrenze besser schützen könne.

Der jüngste Schlagabtausch deutet auf eine Zunahme der latenten Spannungen zwischen beiden Nachbarn hin. Eine Alternative zu Lukaschenko ist für Putin allerdings nicht in Sicht. Der bestätigte nämlich nun, 2020 bei der nächsten Präsidentenwahl erneut anzutreten. Angesichts der absoluten Kontrolle, die Lukaschenko bei der Parlamentswahl demonstriert hat, ist nicht davon auszugehen, dass er die Abstimmung im nächsten Jahr verliert. (André Ballin aus Moskau, 18.11.2019)