Schon um die vorletzte Jahrhundertwende, als das Auto noch ganz jung war und niemand so recht wusste, wie es mit den Antrieben weitergehen würde, war nicht nur die Frage nach dem Motor noch offen, nämlich Verbrenner gegen Elektromotor, sondern auch die nach der idealen Antriebskonfiguration: Hinterradantrieb gegen Allradantrieb und gleich auch Frontantrieb.

Ferdinand Porsches „Lohner Mixte" von ca. 1902 hatte einen elektrischen Radnabenantrieb, der Verbrenner leiferte Strom für den Akku.
Foto: Andreas Stockinger

Ein hübsches Beispiel aus Pioniertagen sehen Sie im Bild rechts. Jetzt, in Zeiten der zunehmenden Elektrifizierung der Antriebe, stellt sich die Frage aber wieder neu, welche Rolle der Allradantrieb in der Elektromobilität künftig spielen könnte. Skepsis im ersten Moment: Allradantrieb erhöht den Energieverbrauch, müsste also eigentlich tabu sein. Ist es aber nicht, und zwar deshalb: Während Allradantrieb beim Verbrennungsmotor aufgrund aufwendiger Mechanik nicht nur das Gewicht, sondern auch die drehenden Massen in die Höhe treibt, lässt sich Allradantrieb beim Elektroauto ungleich schlanker darstellen. Ob ein großer Motor hinten oder vorne oder ein kleiner Motor an jeder Achse, macht im Wirkungsgrad nicht sehr viel Unterschied, erweitert aber viele Fahrzeugfunktionen erheblich, wenn sie nur richtig gesteuert werden.

Zwei Fliegen auf einen Schlag

In den Anfangsjahren der Hybrid- und Plug-in-Hybridtechnik poppten immer wieder Systeme auf, die ein Frontantriebsverbrennersystem mit einem Elektroantrieb an der Hinterachse kombinierten, etwa Peugeot als Hybrid oder, jetzt noch am Markt, der BMW 225xe Plug-in-Hybrid. Hier traf man zwei Fliegen auf einen Schlag: Erweiterung des Verbrennersystems durch Elektroantrieb mit zusätzlichem Antrieb der Hinterachse ohne mechanische Verbindung zur Verbesserung der Traktion. Und das Ganze ohne wesentlichen Eingriff in die Fahrzeugarchitektur – aber auch ohne nennenswerten Erfolg in Richtung Verbesserung der Energiebilanz. Bei den heute meistverbreiteten Plug-in-Hybriden sitzt der Elektromotor ohnehin (meist statt des Drehmomentwandlers) zwischen Motor und Automatikgetriebe. Ob Front-, Heck- oder Allradantrieb, ist hier ohnehin wie bei jedem reinen Verbrenner nur mehr eine Frage der folgenden Antriebsmechanik.

Erste Andeutungen einer neuen Antriebswelt

Beim Elektroauto hingegen kann Allradantrieb viel mehr als nur eine zweite Achse antreiben. Durch die Möglichkeiten der elektronischen Steuerung und Kraftverteilung lassen sich vielfältige Effekte erzielen, die darin münden, dass ein allradgetriebenes Elektroauto nicht zwangsläufig mehr Energie verbrauchen muss, wie das beim Verbrenner der Fall ist. Wir werden erst in den nächsten Jahren sehen, was da alles möglich ist. Heute erkennen wir an praktischen Beispielen gerade die ersten Andeutungen einer neuen Antriebswelt. So ist es beispielsweise möglich, dass aufgrund der dynamischen Gewichtsverlagerung beim Beschleunigen und Bremsen der vordere Motor auf das Rekuperieren optimiert wird, während man den hinteren in seinen Eigenschaften auf optimales Antreiben zuspitzt. Die Grenzen für die Fantasie liegen letztendlich nur mehr beim Zwang der Hersteller, möglichst viele Gleichteile zu verwenden, um die Kosten im Rahmen zu halten.

Der nächste batterieelektrische Streich bei Porsche ist der Taycan Cross Turismo. Er kommt Ende 2020 auf den Markt, mit Allradtechnik wie schon vom "normalen" Taycan her bekannt.
Foto: Porsche

Gemeinsame Standards

Bunte Welt: Porsche verwendet im Taycan hochleistungsfähige Permanent-Synchron-Maschinen, während Audi in seinen Entwicklungen genauso wie VW die preisgünstigeren Asynchronmaschinen einsetzt (durch den Entfall von Permanentmagneten ist man damit auch weniger von kritischen Rohstoffen abhängig). Gleichzeitig verwendet Porsche im kommenden elektrischen Macan die Audi-Technik und Audi im Topmodell e-tron GT die Technik aus dem Porsche Taycan. Gemeinsam haben aber alle: Elektromotoren lassen sich gegenüber mechanischen Kraftverteilungsszenarien in einem Bruchteil der Zeit elektronisch steuern, weil sie viel schneller reagieren. Über die elektronische Steuerung lässt sich das Fahrverhalten ein und desselben Autos in einem sehr weiten Bereich verändern. Wir sehen das ja am Porsche Taycan, der im normalen Leben eigentlich mit dem vorderen Motor dahingleitet – erst wenn man kräftig aufs Pedal tritt, entfaltet er seinen Charakter als Vollblut-Sportwagen.

Vielfalt an Antriebsvarianten

Bei den vollelektrischen VW IDs ist durch den modularen Elektrobaukasten eine Vielfalt an Antriebsvarianten realisierbar, die Basis bildet dabei aber der Hinterradantrieb. Wir erinnern uns hier an die Wurzeln der Marke, an den VW Käfer mit Heckmotor. Wer in Österreichs Bergen wohnt, wird folglich wegen der ausgewogeneren Wintereigenschaften eher den Allradler bevorzugen. Elektroautos, die auf einer Plattform mit Verbrennern entstehen, etwa Peugeot-Citroën-Opel, sind dagegen genetische Fronttriebler und es wäre ungleich aufwendiger, sie mit Hinterradantrieb zu erweitern. (Rudolf Skarics, 07.12.2019)