Michael Kiwanukas neues Werk schließt an die Konzeptalben großer afroamerikanischer Musiker an.

Foto: Olivia Rose

Der erste Eindruck täuscht. Zwar hebt das neue Album von Michael Kiwanuka mit fröhlichem Easy-Listening-Lalala an, der Mann bietet aber mehr als geistfreie Zerstreuungsmusik. You Ain't The Problem heißt das erste Lied des dritten Albums des Engländers. Als Kind von Eltern, die einst dem Regime des Idi Amin in Uganda entflohen sind, weiß er, was Außenseitertum bedeutet. Die Erkenntnis "If you don't belong, you're not the problem" kam ihm nicht immer so einfach über die Lippen, der 32-Jährige hat sie erlitten und erkämpft.

Gleichzeitig insistiert er musikalisch auf seiner Außenseiterrolle. Das gängige Format für die Inhalte seiner Kunst wäre da wohl Hip-Hop. Doch Kiwanuka positioniert sich als klassischer Songwriter. Er spielt Rockmusik mit psychedelischen Einsprengseln, beschwört den Conscious Soul von Terry Callier oder Marvin Gaye. Und er hat die Stimme dafür.

Aufgetaucht ist Michael Samuel Kiwanuka 2012 mit dem Album Home Again. Schon der Titel deutet auf eine Standortsuche hin. Dieses Debüt hat der Produzent Danger Mouse gehört und mit Kiwanuka vier Jahre später das Album Love & Hate produziert. Das wurde prompt für den prestigeschwangeren Mercury Music Prize nominiert, landete transatlantisch in den Charts und fand sich in viele Jahresbestenlisten auf den vorderen Plätzen. Mit dem Lied Black Man In a White World schrieb er so etwas wie die inoffizielle Hymne der sich gerade formierenden Bewegung Black Lives Matter: "The right place at the right time", wie es in der Soul-Musik heißt.

Nicht trendgeil, sondern zeitlos

Dabei ist Kiwanukas Musik alles andere als trendgeil, sie ist so aktuell wie zeitlos. Die scheinbar immergrüne Gültigkeit besorgt der melancholische Tonfall Kiwanukas. Denn so viel hat sich nicht zum Besseren geändert, so wenig ist weitergegangen. Populisten allerorts torpedieren die Errungenschaften der Gleichberechtigung, Rassismus ist da nur eine von vielen ungustiösen Äußerungen ihres widerwärtigen Wesens. Das will Kiwanuka nicht hinnehmen, dagegen kämpft er, ohne gleich wie ein Missionar zu erscheinen. Seine Songs schreibt er zuerst für sich selbst. Die Fragen und Unsicherheiten, die dabei auftauchen, sind keine exklusiven, sondern universelle. Ungerechtigkeit, fehlendes Mitgefühl, Menschlichkeit und ihr Gegenteil schreiben wie eine Geisterhand seine Songs mit.

Das können akustische Kleinode wie am Beginn von Hero sein, das können Titel sein, die von Geigen aus der Schule des Burt Bacharach in den Himmel gehoben werden. Oder es dröhnt in Richtung psychedelischer Rock, was sogar den Namen Jimi Hendrix in manchen Besprechungen auftauchen lässt. Wieder hat Kiwanuka Brian Burton alias Danger Mouse als Produzenten und Mitmusiker als Beistand. Der ist ein Meister für atmosphärische Arbeiten und versteht es, Musik gleichzeitig vintage und neu klingen zu lassen.

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Hoffnung und Spiritualität

In diesem Setting wandelt Kiwanuka durch seine Themen. Furcht und Zweifeln begegnet er mit einem Humanismus, der von Spiritualität und Hoffnung genährt ist. Er baut Samples aus Reden der Bürgerrechtsbewegung ein und zuckert mit Chören, die wie Seelenwärmer wirken. Kleine Fingerübungen wachsen sich zu ganzen Songs aus und spielen mit dem klassischen Albumformat. Dabei versenkt er sich bei aller der Melancholie nicht in selbstzerfleischenden Expressionismus.

Das wurde ihm schon als Mutlosigkeit ausgelegt, man kann es aber auch einer Eleganz zuschreiben, die Form und Inhalt gleichberechtigt sieht. Die Streicher, das Klavier, die manchmal behäbigen Rhythmen scheinen dabei einer Strategie zu folgen, die Michelle Obama in ihrer Biografie bezüglich politischer Anwürfe beschreibt: "If they go low, we go high", schreibt sie. Sinngemäß: Je tiefer der Konflikt wird, desto aufrechter zeigen wir uns.

Auch Kiwanuka lässt sich nicht von seiner Vision abbringen. Das nach ihm selbst benannte Album ist von vorn bis hinten stimmig. Kein Schielen auf Hits bricht die Atmosphäre auf, stattdessen hört man ein Werk, das an berühmte Konzeptalben großer Afroamerikaner erinnert. Am 6. Dezember kann man sich Michael Kiwanuka live geben, da tritt er das erste Mal in Wien auf, in der Stadthalle F. (Karl Fluch, 19.11.2019)