Wem der Nervenkitzel eines Lotteriescheins nicht reicht, der kann in Frankreich künftig mit Aktien der staatlichen Lotterie spekulieren.

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Es gehört für manche Franzosen zum Morgenritual: Bevor sie sich am Bistrotresen einen Kaffee oder Pastis genehmigen, kaufen sie grell leuchtende Rubbelkarten mit Aufschriften wie "Cash", "Blackjack" oder "Astro". Gewiss, das Auskratzen der Gewinnzahl ist nicht immer ergiebig. Trotzdem nehmen 21 Millionen Bürger an den Lotterien des Staatsunternehmens Française des Jeux (FDJ) teil – ein Drittel der Landesbevölkerung.

Jetzt können sie mit FDJ-Aktien bald an der Börse zocken. Die Regierung in Paris privatisiert das Kronjuwel der Staatsbetriebe, das im Vorjahr bei einem Umsatz von 1,8 Milliarden Euro gut 170 Millionen Euro Gewinn eingespielte. Der staatliche Kapitalanteil sinkt von 72 auf 20 Prozent.

Finanzielle Motivation

Das Motiv ist rein finanzieller Natur. Präsident Emmanuel Macron bekundet neuerdings größte Mühe, die Staatsausgaben einigermaßen im Griff zu haben. Anfang dieses Jahres hatte er den Staatssäckel weit geöffnet, um die Forderungen der protestierenden Gelbwesten zu erfüllen. Frankreich wird deshalb die dreiprozentige Defizitvorgabe der EU heuer verpassen. Die Staatsschuld nähert sich gefährlich der symbolischen Schwelle von 100 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Macron musste sich deshalb zu Frankreichs erster Privatisierung seit 2005 durchringen.

Am Donnerstag folgt nun FDJ. Wirtschaftsminister Bruno Le Maire spricht bereits von einem „immensen Volkserfolg“. Die Franzosen hätten in der Vorplatzierung Aktien für über eine Milliarde Euro gezeichnet, freut er sich. Der Ausgabepreis wird erst am Donnerstag fixiert; laut Le Maire wird er sich innerhalb der Spanne von 16,50 und 19,90 Euro bewegen. Für zehn gekaufte Titel gibt es eine Gratisaktie. Pendelt sich der Kurs wie erwartet eher bei 20 als bei 16 Euro ein, könnte der Staat rund zwei Milliarden Euro einnehmen.

Kein sicherer "Volkserfolg"

Ob die Erstzeichner der FDJ-Aktien ebenso absahnen werden, muss sich weisen. Dem Werbeprospekt zum Trotz war die Ausgabe von Wertpapieren durch die öffentliche Hand in Frankreich nicht immer ein "Volkserfolg".

Finanzielle Reinfälle wie der Bau des Panamakanals, eine Russland-Anleihe vor dem Ersten Weltkrieg oder in der neueren Zeit der Bau des Eurotunnels sind abschreckende Beispiele – einerseits für die verherrlichende Regierungspropaganda, andererseits für die Leichtgläubigkeit der französischen Kleinanleger.

Börsenexperten halten die FDJ-zwar für eine korrekte Investition. Aber sie warnen vor zu hohen Gewinnhoffnungen. Der französische Staat wird dank seines 20-prozentigen Anteils ein gewichtiges Wörtchen mitreden. Mit neuen Reglements, womöglich auch neuen Abgaben wird gerechnet.

Verpönte Glücksspiele

Denn Geldspiele sind zunehmend verpönt. Nicht nur, weil sie gerade den ärmeren Schichten das Geld aus der Tasche ziehen. Der konservative Senator Jean-François Husson kämpfte vehement für die Beibehaltung des Staatsmonopols, für ihn stellen Glückswetten eine „Angelegenheit der öffentlichen Gesundheit“ dar.

Parallel zur Privatisierung von FDJ sind Gesetzesvorstöße anhängig, die zum Beispiel Geldspiele im Internet für Minderjährige einschränken wollen. Die Linke war ebenfalls gegen die Privatisierung von FDJ, aber machtlos gegen die Mehrheit der Macron-Partei République en Marche.

Die Rolle der öffentlichen Hand

FDJ wird auch deshalb kaum eine Dividendenkasse, weil ein "Kommissar" gestützt auf 20 Prozent der Anteile weiterhin den Standpunkt der öffentlichen Hand einbringen soll. Schon heute enthält das Pflichtenheft der Staatslotterie die Finanzierung von Sportanlässen und -anlagen im Umfang von 230 Millionen Euro. 800 Vereine werden heute von der FDJ unterstützt. Dazu kommen bereits heute neue Aufgaben wie etwa der Schutz des Kulturerbes. Der Kommissar kann weitere anregen.

Wenn die Linke und die Republikaner die FDJ-Privatisierung relativ widerstandslos hinnahmen, dann auch, weil sie ihre Kräfte gegen die anstehende Privatisierung der Pariser Großflughäfen Roissy, Orly und Le Bourget konzentrieren wollen. Dagegen läuft derzeit eine Unterschriftensammlung. (Stefan Brändle aus Paris, 19.11.2019)