Rekruten des Bundesheeres sind kaum feldverwendungsfähig.

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Wien – Landesverteidigung wird in einer türkis-grünen Koalition kaum zum Schwerpunktthema werden, auch wenn die ÖVP gleich zwei Experten mit langjähriger Militärerfahrung in die Verhandlungen geschickt hat: Da ist zum einen Karl Nehammer, der Berufssoldat war – und zum anderen Erwin Hameseder, der sich in der Miliz bis zum Rang eines Generalmajors hochgedient hat.

Sie repräsentieren zwei grundlegend unterschiedliche Ausrichtungen des Bundesheeres: Dem Verfassungsauftrag gemäß wäre die österreichische Landesverteidigung nach dem Prinzip eines Milizheeres auszurichten – im Präsenzstand wären die Soldaten nur während der Ausbildung (zu der sie mehrfach einberufen würden) und eben dann, wenn sie im Einsatz gebraucht würden.

Berufssoldaten dominieren

Tatsächlich ist das Bundesheer aber ein von Berufssoldaten geprägtes Präsenzheer, in dem Ausbildung und Verwaltung einen hohen Anteil haben – Rekruten sind am Ende des Grundwehrdienstes aber kaum feldverwendungsfähig, weiter ausgebildet und beübt werden sie jedoch nicht.

Verfechter des reinen Milizsystems argumentieren, dass man viel Verwaltung einsparen könnte, wenn man das Milizprinzip nur konsequent genug anwenden würde (Schlagwort: „Miliz bildet Miliz aus“) – ausgeblendet bleibt dabei, dass es bei den wehrpflichtigen jungen Männern auch früher nicht sehr populär war, dass sie nach der Grundausbildung in mehrjährigen Abständen zu weiterer Ausbildung neuerlich einberufen wurden. Noch weniger populär wäre es wohl, Milizsoldaten für Einsätze einzuberufen und sie etwa wochenlang für Objektschutzaufgaben heranzuziehen.

Verfassungsauftrag jahrelang ignoriert

Die Grundsatzentscheidung, ob man der Bestimmung des Artikels 79 Absatz 1 der Bundesverfassung, eben dem Milizprinzip, gerecht werden oder vielleicht eine Änderung herbeiführen will, würde viele Folgeentscheidungen in Struktur und Beschaffung beeinflussen – sie wurde aber schon seit 30 Jahren nicht besonders ernst genommen.

Ähnliches gilt für die Luftraumsicherung: Hier hat man sich erst Mitte der 1980er-Jahre zur Beschaffung eines Überschalljagdflugzeugs durchgerungen, Zwischenlösungen (Saab-Draken) und umstrittene Typenentscheidungen (Eurofighter) folgten.

Problemfall Eurofighter-Ersatz

Auch die letzten beiden Regierungen konnten sich nicht entscheiden, ob die Luftraumüberwachung weiter mit Eurofightern oder mit einem anderen Überschallflugzeug stattfinden soll; unklar ist auch, ob ein billigeres und billiger zu betreibendes Düsenflugzeug als Trainer und Ergänzung zum eigentlichen Jagdflugzeug beschafft werden soll.

Sicher ist nur, dass das gegenwärtige System nicht weiter funktioniert, weil die alten Saab-105 am Ende der Lebensdauer angelangt sind und die Eurofighter ohne Nachrüstung kaum weiter betrieben werden können. Dass Waffensysteme insgesamt und Eurofighter im Besonderen bei den Grünen nicht besonders beliebt sind, macht die Entscheidungen nicht einfacher.

Dabei ist die Luftraumsicherung nur der prominenteste, weil im Einzelnen teuerste Beschaffungsvorgang, der ansteht.

Den Verhandlern liegt ja der aktuelle, 134 Seiten starke Zustandsbericht „Unser Heer 2030“ vor, den der Übergangsverteidigungsminister Thomas Starlinger ausarbeiten lassen hat. Bundespräsident und Oberbefehlshaber Alexander Van der Bellen hat ebenfalls nicht nur auf den verfassungsrechtlich unhaltbaren Zustand, sondern auch auf die finanzielle Unterdotierung des Bundesheeres hingewiesen (ohne dass der frühere Finanzminister oder der Bundeskanzler darauf merklich reagiert hätten).

Zusätzliche Milliarden notwendig

Starlinger hat vorgerechnet, dass das Bundesheer in den zehn Jahren bis 2030 insgesamt um 16,2 Milliarden Euro zusätzlich zu den Regelbudgets brauchen wird, um das Militär bei Ausrüstung, Waffen, Personal und Gerät auf jenen Zustand zu bringen, der eigentlich schon jetzt erreicht sein müsste, aber nie finanzierbar war. Wenn die Republik etwa durch einen Blackout erschüttert würde, wenn es um die Abwehr von Drohnen ginge oder wenn Terroristen danach trachteten, der Bevölkerung hohe Verluste zuzufügen, brauche man sich nichts vorzumachen: „Schon derzeit ist ein flächendeckender Schutz der österreichischen Bevölkerung nicht mehr gewährleistet“, hat der Minister im September als Vorgabe für seinen Nachfolger in der noch auszuverhandelnden Koalition formuliert.

Nicht einmal die Katastrophenhilfe, die bei allen Parteien und auch in der Bevölkerung hohe Zustimmung genießt, ist auf dem Sollstand. Die derzeitige Leistungsfähigkeit liegt in diesem Bereich bei 75 Prozent, Tendenz: stark sinkend. (Conrad Seidl 19.11.2019)