Die Plattform Uns reicht's zog Bilanz.

Foto: Jutta Berger

Bregenz – Beim Rechnen mache ihrem Schüler keiner was vor, da sei er das Ass seiner Klasse. Und auch sonst zähle der junge Afghane zu den Besten, erzählt Nadja Natter. Die Bregenzer Berufsschullehrerin spricht im Büro der Vorarlberger NGO Vindex über Erfahrungen, die sie mit Geflüchteten gemacht hat.

"Motiviert, fleißig, gut integriert" seien die Schüler. Groß sei das Interesse der Schulkollegen und -kolleginnen an deren Schicksal. Groß sei auch der Schock, das Unverständnis, wenn einer der Mitschüler gehen müsse. Der gute Rechner, Einzelhandelskaufmann-Lehrling im dritten Lehrjahr, hat die Ungewissheit, die Angst vor Abschiebung nicht mehr ertragen, er ist untergetaucht. Lehrerin und Mitschüler machen sich Sorgen.

"Wir können nur hoffen", sagt Nadja Natter und fordert von der künftigen Regierung eine Lösung für Auszubildende abseits des aktuell diskutierten Parteienkompromisses. Der sei zynisch, entspreche auch nicht den Bedürfnissen der Wirtschaft, die Fachkräfte suche. Lehrlinge während oder nach der Lehre abzuschieben sei äußert unwirtschaftlich. Geflüchtete mit Lehrabschluss sollten das Gelernte als Arbeitskräfte in Österreich umsetzen dürfen.

Natter nahm an einer Pressekonferenz der Plattform Uns reicht's teil, die seit einem Jahr Sonntagsdemos zu Fremden- und Asylrecht in Österreich veranstaltet.

Türkis-blaue Schatten

Die Bilanz sei durchzogen, sagt Initiator Klaus Begle. Auch nach Rücktritt der türkis-blauen Regierung sei deren Geist noch zu spüren. Die Politik schweige zur Abschiebepraxis, zum Sterben auf Fluchtrouten, kritisiert der Psychiater.

Eva Fahlbusch, Leiterin von Vindex, plädiert für humanitäres Bleiberecht in Länderkompetenz. Sie kennt aus der Beratungspraxis zahlreiche Beispiele, die der Intervention bedürften. Nach wie vor würden Asylwerber im Schnellverfahren via Videointerviews befragt, kritisiert die Sozialarbeiterin: "Schon an der Art der Fragestellung kann man erkennen, dass man den Menschen nicht glaubt, ihnen Lügen unterstellt." Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl in Feldkirch sei unterbesetzt, es fehle an ausgebildeten Fachkräften.

Die Plattform fordert einen sofortigen Abschiebestopp nach Afghanistan, Syrien und Libyen, zudem eine unabhängige Rechtsberatung durch Institutionen, die nicht dem Weisungsrecht des Innenministeriums unterliegen. Denn immer öfter suchen Ehrenamtliche bei Vindex Rat, die Geflüchtete bei sich aufgenommen haben und Rechtshilfe brauchen, sagte Fahlbusch. Viele von ihnen würden tief in die eigene Tasche greifen und Rechtsanwälte bezahlen.

Letzte Demo – vorerst

Am 8. Dezember veranstaltet Uns reicht's die vorerst letzte Sonntagsdemonstration (Hohenems, Schlossplatz). Nach 28 Kundgebungen mit rund 25.000 Menschen will man in den "Standby-Modus gehen", wie der Internist Burkhard Walla sagt. Beim Lichtermeer zum vorläufigen Abschluss wird "als deutliches Signal an die Christlich-Sozialen" Erhard Busek sprechen. Walla: "Sollte die kommende Regierung ihre Seele verkaufen, werden wir wieder aufstehen."

In Wien blieben am Dienstag Parteienverhandlungen über einen ÖVP-Vorschlag zu Lehre und Asyl ergebnislos. Nun wird bilateral weiterverhandelt. (Jutta Berger, 19.11.2019)