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Seit 2012 dürfen nur mehr 170.000 Tonnen Menhaden pro Jahr gefangen werden – eine Reduktion, die Umweltschützern nicht weit genug geht.

Foto: Getty Images / Jeff Rotman

Die amerikanische Kultur erblühte auf dem Rücken unscheinbarer Flossentiere: 30 Zentimeter lang, oval geformt, silbergraue Schuppen, Gabelschwanz. Ihr massiger, schuppenlose Kopf macht fast ein Drittel der gesamten Körperlänge aus. Sie gehören zur weit verbreiteten Familie der Heringe und sind von Neuschottland bis Florida an der ganzen nordamerikanischen Atlantikküste verbreitet. Ihr Name: Menhaden (Brevoortia tyrannus).

Wie alle Heringsarten leben die Menhadens in großen Schwärmen. Früher glaubte man, sie würden sich von Schlamm ernähren. In Wirklichkeit aber filtern sie mithilfe eines körpereigenen Siebs, der sogenannten Kiemenreuse, winzige Pflanzen und Krustentiere aus dem Meerwasser. Besonders eindrucksvoll ist ihr Hörvermögen. Ultraschall etwa können sie ähnlich gut wahrnehmen wie Fledermäuse. Während der menschliche Hörbereich nur bis gerade mal 20.000 Hertz reicht, hören diese Fische Frequenzen bis zu 180.000 Hertz.

Delfine belauschen

Forscher vermuten, dass die Evolution diese besondere Fähigkeit ausgeprägt hat, damit Menhadens die Ultraschallgeräusche von Delfinen belauschen können: gefährliche Fressfeinde, die regelmäßig Jagd auf sie machen. Gegen eine viel größere Bedrohung – die menschliche Gier nach Profit – beugt allerdings auch das phänomenale Gehör der Menhadens nur bedingt vor.

„Munnawhatteaug“ nannte der Indianerstamm der Narragansett, der einst an der Ostküste Nordamerikas beheimatet war, diese fettreichen Fische – „Das, was befruchtet“. Und Indigene waren es auch, die den ersten weißen Siedlern in der Neuen Welt im frühen 17. Jahrhundert beibrachten, beim Anbau von Mais auch solche Heringe in der Erde zu vergraben.

Fisch als Dünger

Prompt gediehen die Nahrungspflanzen besser als ohne verwesenden Fisch als Dünger. Und in späteren Jahrhunderten war die Herstellung hochwirksamer Düngemittel eine Hauptmotivation für die immer intensiver werdende Menhadenfischerei.

Menschen essen keine Menhadens. Denn sie schmecken grauslich, triefen vor Fett und haben viele Gräten. Als Schmiermittel der Industrialisierung aber verdrängte diese Heringsart in den USA im Lauf des 19. Jahrhunderts sogar die Wale. Bereits 1851, als Herman Melville den Bestseller Moby Dick veröffentlichte, ging das goldene Zeitalter des Walfangs seinem Ende entgegen. Denn Menhadens ließen sich einfacher und mit weniger Gefahr aus dem Wasser ziehen.

Ab den 1860er-Jahren wurden immer mehr Walfangschiffe zu Ringwaden für die Menhadenfischerei umgebaut – und statt Waltrans fettete Menhadenöl die Zahnräder der Fabriken. Um 1880 wurde bereits eine halbe Milliarde Tonnen Menhaden in Öl und Dünger umgewandelt. Kurz darauf brachen die Bestände dieser Heringsart ein.

Frühes Öko-Kultbuch

Doch auch der Umweltschutz in der gesamten westlichen Welt verdankt den Menhadens wichtige Impulse: Schon das Öko-Kultbuch Man and Nature, das der Diplomat und Philologe George Marsh aus Vermont 1864 veröffentlichte – das erste Werk, das in Amerika vor der Zerstörung der natürlichen Ressourcen warnte –, prangerte die Dezimierung dieser Fische an.

Nordamerikanische Umweltschützer bezeichnen den Menhaden, der vielen Fischarten als wichtigste Nahrungsquelle dient und schon aus diesem Grund für die marine Ökologie bedeutend ist, als „wichtigsten Fisch im Meer“.

Manche Umweltaktivisten behaupten auch, Menhadens würden mit ihrer Kiemenreuse das Meerwasser sauber halten. Die wachsenden Todeszonen (Gebiete mit so wenig Sauerstoff, dass die meisten Organismen dort nicht mehr überleben können) in der Chesapeake Bay beispielsweise, einer riesigen Meeresbucht nördlich von Baltimore, seien – mangels Menhadens – auf unzureichende Filterung des Wassers zurückzuführen. Wie stark die Präsenz dieser Fische jedoch tatsächlich zur Wasserqualität beiträgt, ist umstritten.

Fest steht, dass sich die Menhadenbestände an der gesamten nordamerikanischen Atlantikküste seit dem späten 19. Jahrhundert nie mehr völlig erholt haben. Neben Dünge- und Schmiermitteln werden aus zu Pulver zermahlenen Menhadens heute auch Kosmetika, Margarine, Insektizide sowie Omega-3-Fettsäure-Kapseln, die vor Herzinfarkt schützen sollen, hergestellt. Darüber hinaus Seife, Farbe und Futter für Hühner, Schweine und Speisefische in Aquakultur-Anlagen.

Rückgang der Population

Im Jahr 2010 waren allein für die Firma Omega Protein aus Texas, den weltweit größten Hersteller von Omega-3-Fettsäure-Präparaten, 32 Erkundungsflugzeuge und 61 Fischereischiffe im Einsatz. Rund 200.000 Tonnen Menhaden zog Omega Protein aus dem Wasser. Zwischen 1985 und 2010 ging die Menhadenpopulation denn auch erneut um mehr als 85 Prozent zurück.

Im Dezember 2012 begrenzte die Marine Fisheries Commission der USA die erlaubte Fangmenge auf 170.000 Tonnen pro Jahr. Doch Umweltschützern geht das nicht weit genug. „Das Wiederherstellen der Menhadenbestände auf historischem Niveau ist der effektivste Schritt, den wir zur Rettung des Ozeans unternehmen könnten“, schreibt etwa der renommierte Umweltpublizist Paul Greenberg aus New York und fordert ein zehnjähriges Fangverbot. Denn sterbe der Menhaden aus, kollabiere das gesamte Ökosystem des Atlantiks. (Till Hein, 26.11.2019)