Eine Seite der Lechler-Manuskripte: Der Barockmusiker hat Werke, ganz unüblich für seine Zeit, in Partiturform aufgeschrieben.

Foto: Bruckner-Privatuni

Im Jahr 1632 begab sich Benedikt Lechler auf Italienreise. Zu diesem Zeitpunkt hatte der 1594 in Füssen im Allgäu geborene Lautenist bereits eine beachtliche Musikerkarriere hinter sich. Nach dem Studium in Wien war er Stiftsmusiker in Admont und dann im Benediktinerkloster Kremsmünster gewesen, wo er zum Regens Chori, zum Leiter des kirchlichen Chors, avancierte.

Lechler war ein erfahrener Musiker, doch was er in Italien an neuen Stilen zu hören bekam, kannte er in dieser Form nicht: Giacomo Carissimi, ein gut zehn Jahre jüngerer Kapellmeister im Collegium Germanicum in Rom, verlieh der kirchlichen Musik etwa einen noch nicht dagewesenen Ausdruck. Lechler war begeistert. Er begann die Musik Carissimis zu notieren.

Viele weitere Aufzeichnungen sollten folgen. Er legte den Grundstein zu einer bedeutsamen Sammlung geistlicher Barockwerke in Österreich: der Lechler-Manuskripte des Stifts Kremsmünster.

Die Sammlung umfasst um die 350 äußerst klein beschriebene Papierbögen – großteils mehrstimmige Sakralmusik, aber auch Instrumentalmusik. 29 Werke werden Lechler selbst zugeschrieben. Mit freiem Auge sind die Aufzeichnungen kaum lesbar. Lechler benötigte viel Raum, denn er tat etwas, was zu seiner Zeit außergewöhnlich war: Er schrieb die Werke in Partiturform auf.

Notenzeilen

„Lechler verwendete für jedes Instrument, das er hörte oder für das er komponierte, eine eigene Notenzeile. Das macht ihn für seine Zeit zu einer totalen Ausnahme und gibt uns wertvolle Hinweise zur Musizierpraxis in Kremsmünster“, betont Carin van Heerden. Die in Südafrika geborene Oboistin und Blockflötistin leitete bis vor kurzem das Institut für Alte Musik und Historische Aufführungspraxis der Anton-Bruckner-Privatuniversität Linz.

„Üblicherweise schrieb man zu Lechlers Zeit nur die Melodiestimme und die zugrundeliegende Bassstimme in einer jeweils eigenen Notenzeile auf“, erklärt die Musikerin. „Wie die Bassgruppe genau besetzt war, wann die Lauten aufhören oder die Violine einstimmen sollte, wurde nicht festgehalten.“

Van Heerden leitet an der Bruckner-Uni ein Forschungsprojekt, das aus den Aufzeichnungen Lechlers und seiner Nachfolger – zwei Chorleiter nach ihm führten das Werk fort – neue Erkenntnisse über die damalige Aufführungspraxis ableiten soll.

Die Linzer Uni kooperiert dabei unter anderem mit dem Notenarchiv Stift Kremsmünster, der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien, der Kunstuniversität Graz und der Universität Salzburg. Initiiert wurde das Projekt vom Lautenisten Hubert Hoffmann, der im Musikarchiv des Stifts forscht.

Die tatsächlichen Besetzungen sollen untersucht und für Aufführungen in der Gegenwart erprobt und zugänglich gemacht werden. Gleichzeitig sollen Hinweise auf die Aufführungspraxis im zentralösterreichischen Raum von damals gesammelt werden. Die Frage, welche Instrumente in der fortlaufenden Bassstimme – der sogenannte Basso continuo war das harmonische Fundament dieser Zeit – im nordöstlichen Alpenraum genau eingesetzt wurden, soll beantwortet werden.

Edition

Obwohl bereits in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine Auseinandersetzung stattfand, fehlt bis heute eine wissenschaftliche Edition aller Werke. Eine solche Unternehmung würde viele Jahre dauern. Da das Projekt auch Bestandteil der Lehre ist, traf man vorerst eine Auswahl, die im Rahmen einer Lehrveranstaltung ediert und so einer Aufführung in der Gegenwart zugänglich gemacht wurde.

Viele der historischen Musikinstrumente aus Kremsmünster sind in der Instrumentensammlung des Schlossmuseums Linz erhalten geblieben – eine weitere Quelle für die Rekonstruktion der historischen Ensembles. In einem Symposion Anfang November wurden schließlich Aspekte der Musikwissenschaft, der Instrumentenkunde und der Aufführungspraxis beleuchtet.

Bleibt die Frage: Was hat Lechler zu der unüblich genauen Notation bewogen? „Notierungen enden manchmal plötzlich und ein anderes Werk beginnt, während das ursprüngliche Werk auf einer anderen Seite weitergeführt ist. Es ist eine richtige Detektivarbeit, das nachzuvollziehen“, beschreibt van Heerden. „Wir wissen nicht, warum er jedes Instrument aufgeschrieben hat. Es hat wohl mit dem Wunsch zu tun, die Werke zu konservieren.“ (Alois Pumhösel, 29.11.2019)