Zwei, die entdecken müssen, wie verschieden ihre Bedürfnisse eigentlich sind: Scarlett Johansson und Adam Driver gehen in "Marriage Story" einen längeren Weg zu getrennten Leben.


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Kann man Glück und Unglück einer Ehe eigentlich erzählen? Oder gilt da auch die alte Zeitungsweisheit, dass nur schlechte Nachrichten gute seien, also nur die Konflikte vermittelbar bleiben? In Noah Baumbachs Marriage Story gibt es eine große Variationsbreite an Angeboten. Gleich zu Beginn tragen Nicole (Scarlett Johansson) und Charlie (Adam Driver) ihre Listen vor, in denen sie aufzählen, was sie am jeweils anderen lieben.

Das Spiel entpuppt sich jedoch als die Idee eines Mediators. Die Scheidungsanwälte konstruieren hernach ihre alternativen Bosheiten: Da geht es um Überzeichnung und Unterstellung, um Nutzen und Gewinn. Und die Eheleute? Welche Wahrheit bleibt übrig, welche Lüge haben sie gelebt?

Komplexität ist so ein Wort für Systeme, die keinen Überblick gewähren. Noah Baumbach kommt mit seinem Film dem System Beziehung auf bezwingende Weise nahe. Es geht um das unaufgeräumte, von Schmerz und Schuldzuweisungen blockierte Verhältnis eines Paares. Die Ehe ist vorbei, als der Film anfängt. Die Scheidungspapiere werden in der ungefähr dritten, übrigens hochkomischen Szene überreicht.

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Dies fühle sich nicht echt an, wird Charlie sagen, als er Nicole und Sohn Henry (Azhy Robertson) in L.A. besucht – sie hat dort eine TV-Rolle angenommen – und den Umschlag in der Hand hält. Und doch: Um diese neue Realität wird gekämpft, eine von nun an getrennte Zukunft muss ausbaldowert werden.

Man kann Marriage Story, der jetzt ins Kino kommt, bevor er zwei Wochen später auf Netflix abrufbar sein wird, als Break-up-Drama sehen, als eine Art Update von Kramer vs. Kramer (1979), der damals auf die hohe Scheidungsrate reagierte. Eine grundsätzlichere Referenz von Baumbach ist zweifellos Ingmar Bergman, dessen Vivisektionen bürgerlicher Lebenswelten den New Yorker Regisseur schon in früheren Arbeiten prägten, etwa in dem ebenso autobiografisch gefärbten The Squid and the Whale (2005). Auch das Bisschen, was man in Marriage Story von Charlies Arbeiten als Off-Broadway-Regisseur sieht, wirkt wie eine postmoderne Variation auf den Schweden. Kameramann Robbie Ryan betont besonders die Großaufnahmen.

Gemeinsam, getrennt: Scarlett Johansson und Adam Driver in "Marriage Story".
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Wichtiger als der Scheidungsverlauf ist Baumbach jedenfalls die Konfrontation mit den Selbstbildern der Ehepartner. Noch im Scheitern, im Zurechtkommenmüssen mit neuen, ungeliebten Lebensmittelpunkten – Charlie ist als New Yorker ein chronischer Nörgler in L.A. – spiegelt der Film virtuos die Vergangenheit des Paares wider. Baumbach benötigt dafür keine Rückblenden, sondern wickelt diesen Abgleich von davor und danach ausschließlich in der szenischen Gegenwart ab. Einmal ist es Nicole, die ihrer mit allen Wassern gewaschenen Anwältin (Laura Dern) das Gefühl in einer Ehe schildert, in der sich alles nach dem Mann ausrichtet und ihr Stück Welt, wie sie sagt, verloren geht. Charlie ist als Mann, wie man an vielen anderen Stellen sehen kann, jedoch ein durchaus zeitgemäßer, maßvoller Typ; und ein liebevoller Vater, der verbissen um sein Sorgerecht kämpft.

Man muss sich für keinen der beiden entscheiden, auch wenn Charlie ein Stück weit mehr im Zentrum steht. Es geht eher um das, was er aufgeben muss, als um das, was sie dazugewinnen will. Doch Baumbach erzählt mit Feingefühl für das Tauziehen dazwischen, für eindeutige und genauso verstohlene Momente – etwa jenen, als Nicole dem ratlosen Charlie noch beim Anwaltstermin das Lunch-Gericht aussucht.

Eskalation und Intimität

Solche intimen Gesten verstecken sich noch in den hochfahrendsten melodramatischen Momenten des Films. Mitten im sich anbahnenden Streit nennt sie ihn „Honey“. Und wenn sie sich in dieser aufwühlenden Szene nichts schenken, weiß man nicht, ob sie sich auf dem Weg durch ein auf Eskalation angelegtes Scheidungssystem so weit voneinander entfernt haben – oder ob sie dem Rausch des Streits erliegen, bei dem ein Wort das nächstschlimmere heraufbeschwört.

Diese Situationen erinnern einen auch wiederholt daran, dass man zwei exzellenten Darstellern zusieht, die Theaterleute spielen. Baumbach sucht die performative Qualität, die dieser stürmischen Seite des Lebens eignet. Sodass es selbstreflexiv und doch melancholisch anmutet, wenn Adam Driver in einer Bar noch die Ballade Being Alive anstimmt. (Dominik Kamalzadeh, 20.11.2019)