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Nach dem ganzen Bohei um den gestrichenen Nationaldex, dem Hashtag #GameFreakLied, der die Macher der Pokémon der Lügen und Verarsche bezichtigte, den Leaks vorab und zahlreicher harscher Kritik im Netz hat man das Gefühl, man darf die Schwert und Schild-Editionen gar nicht mehr für gut befinden. Allen Unkenrufen zum Trotz, liebe Hater: Die neueste Pokémon-Generation ist gut. Wirklich. Richtig. Gut.

In Pokémon Schwert und Schild schlüpft man in die gewohnte Rolle eines aufstrebenden Pokémon-Trainers, der sich in der Galar-Region zum absoluten Meister kämpfen möchte. Auf dem Weg dorthin stellen sich der Kindheitsfreund, ein überhebliches Gfrast und eine coole Emo-Queen mitsamt Fanklub – genannt Team Yell – in den Weg. Um schlussendlich den Pokémon-Champ herausfordern zu können, muss man Monster trainieren und acht Arenaleiter nach der Reihe bezwingen. An den Grundpfeilern wurde also nicht gerüttelt, die stehen seit 20 Jahren, als der erste Teil der Reihe erschien, stabil wie ein Gesteins-Pokémon.

Ein wirkliches Novum in der an Großbritannien angelehnten Region ist die Naturzone, ein riesiges Gebiet, das sich über mehrere Städte und Routen erstreckt. Zum einen findet man dort Pokémon im hohen Gras, zum anderen laufen besondere – vor allem weiterentwickelte – Exemplare nonchalant in der Gegend herum. Nur: Diese sind verdammt stark und können vor allem zu Beginn des Spiels das gesamte Team mit einem Schlag besiegen. Beim ersten Besuch in der Naturzone bin ich mit meinem Level-10-Hopplo auf ein freilaufendes Onix zugerannt, und selten habe ich etwas so schnell bereut. Das hat natürlich den Sinn, dass man nicht von Anfang an ein Pokémon mit Level 40 besitzt und somit das Spiel aus den Angeln hebt. Erst später, sobald man mehrere Orden besitzt, lassen sich auch die extrem starken Pokémon fangen. Weiters findet man in dem Gebiet Pokémon-Nester, in denen man allein oder im Team an Raids teilnehmen, also Items sammeln und Monster fangen kann. Diese treten in der in Pokémon Schwert und Schild neuetablierten Dynamax-Form auf, was nichts anderes ist als ein monumentaler Auswuchs eines Pokémon mit extrem starken und grafisch ausufernden Attacken.

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Was ist gelungen?

Das herausstechende Merkmal der achten Pokémon-Generation ist die Naturzone, die dem sehr linearen Gameplay endlich einen Hauch von Open-World-Feeling verleiht. Seit die Rollenspielserie von Nintendo veröffentlicht und später eine Anime-Serie nachgereicht wurde, wünschte man sich als Spieler, in eine Welt eintauchen zu können, in der Pokémon frei herumlaufen. Da ich Pokémon Let's Go nicht gespielt habe, war der erste Moment, die Monster in Fleisch und Blut oder, besser gesagt, Polygon und Cyberblut zu sehen, mit einem ehrlichen Wow verbunden. Erinnernd an Zelda: Breath of the Wild oder noch mehr an die Oberwelt von Xenoblade Chronicles, sieht man hier das (unausgeschöpfte) Potenzial, wohin sich die Pokémon-Reihe noch entwickeln wird. Denn abseits von Fangen und Kämpfen gibt es in der Zone nicht wirklich was zu tun, es ist auch mehr Game-Gimmick, um eine Pause von der Haupthandlung einlegen zu können.

Wunderschön und imposant gestaltet wurden die Städte, die man in der Galar-Region besucht. Von der Dampfmaschinen-inspirierten Industriestadt bis zur Helms-Klamm-esken Drachenfestung floss sichtlich viel Arbeit hinein, um die Region so lebendig wie möglich zu gestalten. Manchmal hat man aber das Gefühl, dass die Stadt nur dazu da ist, um die Arena zu bezwingen. Schöne Fassade, nichts dahinter. Denn bis auf das obligatorische Pokémon-Center kann man sich gerade noch umstylen lassen, schon wird man zur nächsten Stadt geschickt. Dafür hat man den Arenakämpfen jenen notwendigen Rumms verliehen, den sie brauchen: in einem riesigen Stadion, von einem aufgeheizten Publikum bejubelt gegen die besten Trainer der Nation zu kämpfen. So müssen sich also Pokémon-Stars fühlen.

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Was ist weniger gelungen?

Ganz grundsätzlich spielt sich Pokémon Schwert und Schild wie unfertige Spiele. Bei einigen Stellen im Spiel wurde sichtlich gehudelt. Passiert wahnsinnig viel auf dem Bildschirm – zum Beispiel bei Dynamax-Kämpfen –, beginnt das Spiel zu stocken oder die Framerate sinkt enorm. Obwohl viele Gebiete im Spiel liebevoll designt wurden, gibt es wiederum Flecken, die man locker auf die Liste der hässlichsten Orte setzen könnte. Ich verstehe schon den Anspruch an den Naturalismus, auch in der realen Welt ist nicht alles schön. Aber Umgebungen aus toten, lieblos platzierten Bäume, die einen raten lassen, ob man nun ein Switch- oder ein N64-Game spielt, hätten auch nicht sein müssen. Grafisch sind Schwert und Schild eine Enttäuschung. Das unterstreicht die Vermutung, dass Entwickler Gamefreak einfach nicht rechtzeitig fertig geworden ist. Und das darf einem Kaliber, wie es die Pokémon-Reihe ist, eigentlich nicht passieren.

Dass sich "nur" 400 Pokémon im Spiel finden – viele Monster wurden ja gestrichen –, ist schmerzlich, aber vertretbar. Dass beim Design der neuen Pokémon die eine oder andere Nieten dabei ist, liegt bei mittlerweile fast 900 Viechern auf der Hand. Vielleicht gewöhne ich mich ja noch an den Drachen, der ein Apfel ist. Oder an das Stonehenge-Monster. Oder den Pinguin mit einem Eiswürfel als Kopf. Vielleicht.

Woran man sich erst gar nicht gewöhnen braucht, sind die neuen Mechanismen, die man einbaut, um Pokémon hip und fresh zu halten. Waren es die Megaentwicklungen in X und Y und die Z-Attacken in Sonne und Mond, so hat man in Schwert und Schild Dynamax eingeführt. Das ist ein spezieller Modus, der nur in Arenakämpfen oder in Raids einsetzbar ist und eigentlich keinen Mehrwert bietet, außer mit Effekten zu klotzen. Im Kampf gegen die Arenaleiter ist es ziemlich vorhersehbar: Die Dynamax-Funktion wird beim letzten Pokémon eingesetzt, als Spieler kontert man da – no na ned – und dynamaximiert sein eigenes Monster. Wirklich Sinn hat die neue Gameplay-Funktion also nicht, und in der nächsten Generation wird sie vermutlich von einem neuen Spielelement abgelöst.

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Fazit

Pokémon Schwert und Schild hätten die allerbesten Pokémon-Spiele sein können, so gut wie keine vor ihnen. Doch viel zu viele Mängel führen zu einer bitteren Niederlage kurz vor dem Ziel. Das Spiel wirkt unfertig und ist in manchen Teilen lieblos. Grafisch nicht auf der Höhe der Zeit, triste Umgebungen, unnötige Gameplay-Erweiterungen und, ja, auch das Streichen alter Pokémon hinterlassen bei Schwert und Schild einen bitteren Nachgeschmack. Dafür zeigen die Naturzone mit ihrem Open-World-Flair und dem ersten Gefühl von Freiheit in einem eigentlich linearen Spiel, die freilaufenden Pokémon, vereinfachte Gameplay-Elemente und der noch immer immense Spielspaß, dass in der Rollenspielreihe noch großes Potenzial für eine glorreiche und aufregende Zukunft liegt. Zwei Schritte nach vorn, zwei Schritte zurück. (Kevin Recher, 23.11.2019)