Es gebe eine grundlegende Ursache für Übergriffe auf Kinder in Heimen oder auf Jugendliche in Internaten sowie an Orten behördlicher Anhaltung: den Entzug der persönlichen Freiheit. Das ist eine Schlussfolgerung aus der globalen Studie über Kinder in Haft. Die vom internationalen Menschenrechtsexperten Manfred Nowak geleitete Untersuchung im Auftrag der Vereinten Nationen wird heute anlässlich des 30. Jahrestages des Beschlusses der UN-Kinderrechtskonvention vorgestellt. Sie soll weltweit Änderungsimpulse geben.

Der internationale Menschenrechtsexperte Manfred Nowak.
Foto: EPA/SALVATORE DI NOLFI

Die genannte Erkenntnis mag auf den ersten Blick banal wirken. Doch sie birgt Nachdenkpotenzial und Verbesserungsmöglichkeiten, und zwar nicht nur in Ländern mit noch wenig hinterfragten autoritären Erziehungskonzepten wie Afrika oder Zentralasien. Auch in Österreich mit seinen immerhin sechs Kinderrechtskonventionsartikeln im Verfassungsrang kann man daraus lernen – etwa dass es, um Missbrauch in Institutionen zu verhindern, die Rechte von Kindern weiter zu stärken gilt. Mehr Autonomie und das Ernstnehmen von Minderjährigen können derlei Schändlichkeiten verhindern, die – einmal eingerissen – oft Jahrzehnte andauern, bevor sie aufgedeckt werden. Eine ungestörte Kindheit gibt es nur in Freiheit.

Um auch Minderjährigen, die nicht mit ihren Eltern oder im Familienverband leben können, ein gutes Aufwachsen zu ermöglichen, plädiert die Uno-Studie für eine Abkehr von großen, straff geführten Betreuungseinrichtungen. Sie sollen durch kleine, familienähnliche Betreuungsstrukturen ersetzt werden.

Unbegleitete Minderjährige

In Österreich sind derlei Masseneinrichtungen Auslaufmodelle – aber nicht flächendeckend. Im Erstaufnahmezentrum Traiskirchen leben trotz stark gesunkener Asylantragszahlen immer noch rund 70 unbegleitete Minderjährige. Obsorgeberechtigt für sie ist niemand.

Überhaupt leistet sich das Vorzeigeland Österreich mit seiner Vielzahl an positiv hervorzuhebenden Einrichtungen wie Kinder- und Jugendanwaltschaften oder dem Kinderbeistand vor Gericht eine beschämende Zweiteilung. Besagte fünf Verfassungsrechte gelten nicht, wenn dies für zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe und Ordnung nötig ist: ein Rechtsbegriff, der Asyl- und Migrationsfragen beinhaltet. Ausnahmen können hier also durchaus gemacht werden.

Auch fehlen im hochgelobten Bundesverfassungsgesetz über die Rechte von Kindern genau jene zwei Konventionsbestimmungen, die hierzulande wohl das stärkste Konfliktpotenzial bergen. Weder der Schutz vor Armut noch das Recht auf Gesundheit kommen darin vor. Wäre es anders – die Mindestsicherungsreform, die den später Geborenen aus kinderreichen Familien weniger Unterstützung zuerkennt als Töchtern und Söhnen aus Ein- oder Zweikindfamilien, könnte vor den Verfassungsrichtern kaum bestehen.

Und die Schlenker, die in der letzten Legislaturperiode in Sachen Raucherschutz vollzogen wurden, wären wohl auch unter einem anderen Licht gestanden. In einem Land, das OECD-weit beim Zigarettenkonsum unter Jugendlichen mit an der Spitze steht, wäre das Ausbleiben effizienter Gegenmaßnahmen womöglich einklagbar gewesen. Diese Option sollte den Bürgern im 31. Kinderrechtskonventionsjahr ermöglicht werden. (Irene Brickner, 19.11.2019)