Was verbindet Alzheimer, Fettleibigkeit und Brustkrebs? Die Krankheiten sind global weit verbreitet, und Ärzte erkennen sie oft erst, wenn es zu spät ist. Künstliche Intelligenz könnte hier Abhilfe schaffen. Denn das bloße Auge erkennt Stoffwechselveränderungen, die sich etwa bei Alzheimer früh im Gehirn zeigen, oft nicht,. spezielle Software aber kann Anzeichen der Erkrankung sehen, bevor Symptome auftreten. Forscher haben dazu einen Algorithmus mit 2100 Hirnscans von Menschen gefüttert, die später an Alzheimer erkrankt sind.

Hilfreich sind Algorithmen auch bei der Diagnose von Fettleibigkeit bei Kindern: Bei der Erkrankung spielen demografische und soziale Faktoren eine Rolle. In einem Feldversuch konnte ein Algorithmus exakt prognostizieren, ob Kleinkinder gefährdet sind, später übergewichtig zu werden – basierend auf Ethnie, dem Einkommen ihrer Eltern, aber auch darauf, ob die Eltern an Depressionen litten. Wertvolle Erkenntnisse, die in den falschen Händen viel Schaden anrichten könnten.

Alexa könnte Ihnen das Leben retten – zumindest dann, wenn Sie irgendwann einen Herzstillstand haben. Dieser äußert sich nämlich häufig durch eine charakteristische Schnappatmung. Und Forscher in den USA haben eine künstliche Intelligenz (KI) mit Tonmitschnitten aus Notrufzentralen trainiert, in denen diese Schnappatmung zu hören ist. Insgesamt 80 Stunden Telefongespräche analysierte der Algorithmus, nun soll er das Symptom in der Praxis erkennen. Eingebaut in Sprachassistenten wie Alexa oder Siri könnte die Software dann automatisch Hilfe holen – und damit die Überlebenschance Betroffener erhöhen. In Österreich stirbt alle 30 Minuten ein Mensch an Herzstillstand.

Nicht zur Kardiologin, sondern zur Allgemeinärztin will Amazon seine Alexa ausbilden. Laut einem Patent des IT-Konzerns soll die Sprachassistentin auch Erkältungen und Depressionen an der Stimmlage erkennen können. In der Vision von Amazon bestellt die Sprachassistenz in Zukunft auch gleich die passenden Medikamente – natürlich bei Amazon.

Dass Roboter teilweise besser operieren können als menschliche Chirurgen, ist nichts Neues. Schon seit mehr als 30 Jahren setzen Kliniken Robotik im Operationssaal ein, künftig werden Maschinen im OP noch selbstständiger und präziser arbeiten. Auch dem Pflegepersonal könnten Roboter in Zukunft wortwörtlich unter die Arme greifen, etwa bei Umbetten von bettlägerigen Patienten.

Zukunft haben Roboter und künstliche Intelligenz aber auch in vielen anderen Bereichen des medizinischen Alltags: Ein Geschöpf der Firma Aethon soll bald mit Medikamenten, Unterlagen und Essen bepackt durch die Krankenhausflure flitzen. Ein Roboter-Kollege namens Veebot verspricht, Patienten effizient und sicher Blut abzunehmen. Und eine KI-gestützte Kamera soll dabei helfen, die perfekte Vene zum Anstechen zu identifizieren. Das alles soll das medizinische Personal entlasten, damit es mehr Zeit mit den Patienten verbringen kann. Ob diese so bald bereit sind, sich von einer Maschine pieksen zu lassen, ist eine andere Frage.

Viele Daten können einen Menschen gesundhalten – sehr viele Daten die ganze Welt: Daten von smarten Gadgets, Ärzten und Kliniken sind Gold für die Epidemiologie, die Wissenschaft von den Ursachen und der Verbreitungsweise von Krankheiten. Mithilfe intelligenter Algorithmen könnten Gesundheitsbehörden rechtzeitig Epidemien verhindern, bevor sie ausbrechen. Staatliche Behörden könnten etwa rechtzeitig Informationskampagnen oder Schulungen starten.

Google startete 2008 Flu Trends. Die Idee: Wenn Menschen vermehrt nach Fieber, Schnupfen und Gliederschmerzen googeln, steht wohl die Grippewelle vor der Tür. Nachdem Flu Trends aber bei der Grippewelle 2013 versagte, stampfte der Konzern das Projekt ein. Ganz so einfach ist es wohl doch nicht.

Erfolgreicher war ein anderes Modell, das die Häufigkeit von Durchfallerkrankungen in Schanghai anhand des Wetters vorhersagen konnte. Auch bei der klimawandelbedingten Ausbreitung von Krankheiten in neue Regionen könnten Algorithmen helfen.

Künstliche Intelligenz hat das Potenzial, das Leben von vielen Menschen zu verbessern. Dass das so sein muss, ist aber keineswegs vorprogrammiert. Denn momentan stecken meist profitorientierte IT-Konzerne mit eigenen Interessen hinter den innovativsten Projekten.

Immer dann, wenn Daten an wenigen zentralen Stellen zusammenrinnen, sollten die Alarmglocken schrillen – besonders laut, wenn es die intimsten Daten sind, die wir besitzen – oder nicht mehr besitzen. Denn fallen sie in falsche Hände, könnten etwa Versicherungen Risikogruppen bald nur noch teure Produkte anbieten – oder gar keine mehr. Algorithmen können menschliche Makel wie Rassismus erkennen und überwinden – aber auch verstärken.

KI könnte den Allerärmsten endlich gute medizinische Versorgung bringen – oder aber die Mehr-Klassen-Medizin fördern. Ein dystopisches Szenario, in dem sich nur Reiche echte Ärzte leisten können, während die Masse mit algorithmischen Schnelldiagnosen und Medikamenten aus dem Automat abgespeist wird. (Philip Pramer, 20.11.2019)