Sollen Schüler ihre Lehrer anonym und öffentlich über eine App bewerten dürfen? Diese Frage bewegt seit Tagen Österreichs Pädagogen, Schüler und Eltern. Der 18-jährige Benjamin Hadrigan will mit seiner App "Lernsieg" ein System aufbauen, wie man es unter anderem vom Fahrdienstleister Uber kennt. Nach heftiger Kritik wurde die App vorerst wieder offline genommen.

Das Bildungsministerium hat angekündigt, das Programm rechtlich prüfen zu lassen. Datenschutz-Experte Nikolaus Forgo von der Uni Wien soll allem Datenschutz-Aspekte der App unter die Lupe nehmen. Dabei arbeitet er mit Vertreter der Gewerkschaft Öffentlicher Dienst zusammen, aus deren Reihen es viel Kritik an der App gibt. Man befürchtet Rufschädigung und die Verletzung von Persönlichkeitsrechten.

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Zahlreiche Schüler nutzten die Bewertungsapp, ehe sie aufgrund scharfer Kritik und Hasspostings nun temporär offline genommen wurde.
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Großes Interesse

Lernsieg hat einen Nerv getroffen. Das Bedürfnis von Schülern Feedback geben zu können, ist groß. 70.000-mal wurde die App am letzten Wochenende heruntergeladen. Insgesamt wurden 127.220 Bewertungen für Lehrer und 16.513 Bewertungen für Schulen abgegeben. Die App nutzt ein Sterne-System. Fünf Sterne entsprechen der Note "Sehr gut", ein Stern einem "Nicht genügend". Die Sterne konnten anonym in Kategorien wie Unterricht, Fairness oder Pünktlichkeit verteilt werden. Schon im Vorfeld wurde befürchtet, dass die App für Mobbing missbraucht werden könnte. Um eine Manipulation zu verhindern – etwa durch mehrfaches Bewerten der gleichen Person –, mussten sich Schüler bei der Anmeldung per SMS verifizieren.

Die meisten der bisherigen Bewertungen waren positiv. Lehrer haben im Schnitt 3,96 Sterne erhalten, was der Schulnote "Gut" entspricht. Die Bewertung der App selbst fiel hingegen vernichtend aus. In sozialen Netzwerken sowie in den App Stores hagelte es Kritik an der Anwendung. "Benjamin Hadrigan wurde mit einer Flut an Hass-E-Mails konfrontiert, die einem Schüler weder in Menge noch Inhalt zumutbar sind", sagt eine Sprecherin des 18- jährigen App-Erfinders. Deshalb habe man sich dazu entschieden, sowohl das Programm als auch die dazugehörige Website vorerst vom Netz zu nehmen, "um eine Strategie für solche Angriffe zu entwickeln".

Hadrigan selbst bedankt sich für den "tollen Start" seiner App, die Arbeit an den "technischen und rechtlichen Rahmenbedingungen" werde nun aber einige Zeit dauern.

Podcast: Redakteurin Muzayen Al-Youssef erklärt, warum die Lehrer-Bewertungs-App "Lernsieg" so umstritten ist.

Experten sehen kaum Probleme

IT-Rechtsanwalt Lukas Feiler von der Kanzlei Baker McKenzie teilt die Kritik der Lehrergewerkschaft nicht: Rufschädigend sei eine Abgabe von einem oder mehreren Sternen nicht. "Alles, was der User zum Ausdruck bringt, ist eine subjektive Wertung, ob er zufrieden ist oder nicht", sagt der Experte zum STANDARD. Zufriedenheit sei nicht objektiv überprüfen und stehe jedem frei zu artikulieren.

Auch die Tatsache, dass ein solches Feedback öffentlich geäußert wird, sei durch das Grundrecht auf Meinungsäußerung geschützt. Eltern und Kinder hätten das Recht, sich zu informieren. Es bestehe sehr wohl ein öffentliches Interesse, etwa für Eltern, die ihre Kinder auf eine neue Schule schicken wollen. "Es ist nicht ganz frei von Ironie, wenn sich ausgerechnet Lehrer über eine Bewer tung der eigenen Leistung beschweren", so Feiler. "Ein bisschen Toleranz der Gewerkschaft in Bezug auf das Recht zur freien Meinungsäußerung wäre wünschenswert." Daniel Lohninger von der Datenschutzorganisation Epicenter.works hält die App in einer ersten Einschätzung für "recht unproblematisch".

Die Idee hatte Hadrigan schon vor vielen Jahren. Als Schulsprecher wollte er ein internes Bewertungssystem entwickeln, woran er jedoch scheiterte. Mithilfe von Investoren rund um den Kommunikationsexperten Philipp Ploner konnte er das Vorhaben nun als private App umsetzen. Der 18-Jährige war zudem schon zuvor durch sein Buch #Lernsieg bekannt geworden, in dem er sein selbstentwickeltes Lernsystem basierend auf Social-Media-Plattformen wie Snapchat vorgestellt hat.

Pflicht-Evaluierung kommt

Eine verpflichtende Evaluierung des Unterrichts findet derzeit nur zwischen der Schulleitung und den Lehrern statt. Darüber hinaus können Schulen auf freiwilliger Basis Gebrauch von Feedbacksystemen (Qualitätsinitiative Berufsbildung / Qibb bzw. Schulqualität Allgemeinbildung / SQA) machen, bei denen auch die Schüler befragt werden.

Gibt es Probleme mit einer Lehrkraft, können Schüler und Eltern zuerst das Gespräch mit ihr suchen. Gibt es keine Lösung, so sind Klassenvorstand, Direktorium und Bildungsdirektion die nächsten Anlaufstellen.

Screenshot aus einem SQA-Fragebogen für Schüler.
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Als weiteren Draht gibt es Ombudsstellen bei den Bildungsdirektionen und dem Ministerium, die bei Beschwerden an die Schulen herantreten. Zudem können Kontrollbesuche durch Qualitätsmanager (vormals Schulinspektoren) erfolgen, die auch Weiterbildungen oder die Nichterneuerung von Verträgen empfehlen können. Auch Direktoren können Lehrern bei Verstößen Weiterbildungen verordnen.

In den nächsten Jahren soll ein einheitliches verpflichtendes Feedbacksystem entwickelt werden, im Rahmen dessen auch Lehrer selbst Rückmeldungen einholen müssen. Auch eine Onlineplattform soll kommen. Beim Bildungsministerium hofft man auf eine Umsetzung "in den nächsten Jahren". (muz, dk, gpi, br, 19.11.2019)