Nigerias junge Bevölkerung hat genug. Genug davon, ewig die gleichen alten Gesichter von den Wahlplakaten her unterschauen zu sehen. Korrupte Strukturen und wenig Fortschritt würden die Politik im Land bestimmen – es brauche dringend einen neuen Zugang zu Politik sagt Blessing Chizaram John, eine 23-jährige Landwirtschaftsstudentin an der Universität Abuja in der nigerianischen Hauptstadt.

Dieser neue Zugang könne nur unter Einbindung junger Politiker gefunden werden, ist die Studentin überzeugt. "Unsere Welt verändert sich schnell. Eines der wichtigsten Themen heute, der Klimaschutz, wird von der Jugend angetrieben", sagt John. Das gelte nicht nur für den Umweltschutz, auch für viele andere Bereiche, etwa Gleichberechtigung oder Digitalisierung: "Die meisten älteren Menschen sind altmodisch und verstehen unsere Welt nicht mehr."

Bei einem Protestmarsch durch Nigerias Hauptstadt Abuja forderten mehr als eine Million Studierende mehr Mitsprache in der Politik und Gesellschaft ein.
Foto: YIAGA Africa

Deshalb organisiert John, wie viele andere Studierende im ganzen Land, Proteste, Podiumsdiskussionen und Vernetzungstreffen, die junge Menschen dazu motivieren wollen, politisch aktiv zu werden. Unter dem Namen "Not too young to run", also "Nicht zu jung, um zu kandidieren", hat sich 2016 an den Universitäten eine Bewegung formiert, die mehr Junge in politische Ämter bringen will."Wir wollen mehr und mehr Junge dazu ermutigen, sich Gehör zu verschaffen", sagt John.

Alte Politiker in jungem Land

Potenzial gäbe es: Über 60 Prozent der rund 182 Millionen Nigerianer sind unter 25 Jahren. Das Durchschnittsalter liegt bei rund 18 Jahren – in Österreich bei etwas über 43 Jahren. Doch die jungen Nigerianer fühlen sich aus der Politik ausgeschlossen. Vertrauen in die Regierung? Politische Teilhabe für Studierende? Da lacht John nur als Antwort, während sie das bunte Blumenband zurechtrückt, mit dem sie ihre Haare zurück gebunden hat. Und Christopher Mtaku, Professor an der Univer sität Maiduguri, sagt: "Unter meinen Studierenden ist niemand, der sich von der Politik wirklich repräsentiert fühlt."

Chancen, eine politische Karriere hinzulegen, rechne sich ebenfalls kaum jemand aus. Geld sei zu entscheidend für die Kandidatur, sagt Mtaku. Denn obwohl jene, die sich ein Studium leisten können, bereits zu den Wohlhabendsten des Landes gehören, liegen allein die Kosten für die Nominierung durch eine Partei weit außer Reichweite. Je nach Partei und Amt variiert der Beitrag – für die Wahl ins Repräsentantenhaus kostet ein Parteiticket bis zu 3,8 Millionen Naira, umgerechnet rund 9500 Euro.

Jene jungen Menschen, die sich die teure Eintrittskarte in die Politik leisten können und die nötigen Kontakte haben, sind am ehesten an den Unis zu finden. Auch der Zugang zu Nigerias Hochschulsystem ist kostspielig und wegen eines zweistufigen Aufnahmeverfahrens zeitaufwendig. Im Schnitt ergattert nur jeder vierte Bewerber einen Studienplatz. "Unser Universitätssystem ist exklusiv. Der Zugang sollte viel einfacher werden", sagt Landwirtschaftsstudentin John. Nigerias junge Bevölkerung habe großes Potenzial – man müsse sie nur zum Zug kommen lassen.

Gesenktes Mindestalter

Schritt für Schritt wollen die mittlerweile rund 15.000 Mitglieder von "Not too young to run" ihren Platz in den Führungsetagen des Landes einfordern. Vergangenes Jahr hat die Bewegung eine Gesetzesnovelle angeleiert, die erlaubt, dass man sich bereits mit 35 statt 40 Jahren für das Präsidentenamt bewerben kann, und für das Repräsentantenhaus mit 30 statt mit 35 Jahren.

Während das Durchschnittsalter in Nigeria bei 18 Jahren liegt,
sind diejenigen, die die Bevölkerung vertreten, in ihren 70ern.
Foto: YIAGA Africa

John war an der Organisation des Protestmarschs für die Gesetzesänderung beteiligt. Mehr als eine Million Studierende aus Abuja und anderen Bundesstaaten zogen durch die Hauptstadt zur Präsidentschaftsvilla. "Die Aufbruchstimmung war mitreißend", erinnert sich John. "Not too young to run"-Plakate waren überall zu sehen, viele trugen T-Shirts mit dem grün-gelben Logo der Bewegung. "An diesem Tag hat der Präsident gemerkt: Wir meinen es ernst", glaubt John.

Das war im März 2018, im Mai wurde das Alter für das passive Wahlrecht gesenkt. Die zwei aussichtsreichsten Kandidaten, die zur letzten Präsidentschaftswahl im Februar 2019 antraten, waren aber in ihren 70ern. Immerhin ist mittlerweile die Zahl junger Politiker im Repräsentantenhaus von 18 Prozent im Jahr 2015 auf 23 Prozent 2019 gestiegen.

Es sei ein langsamer Prozess, an dem ständig weitergearbeitet werden müsse, sagt dazu Ibrahim Faruk (33). Er ist der Präsident der Youth Initiative for Advocacy, Growth and Advancement (YIAGA Africa), die 2007 als Studierendenorganisation an der Uni der Stadt Jos gegründet wurde. Es war YIAGA, die vor drei Jahren die "Not too young to run"-Bewegung startete; heute engagiert sich die Organisation weit über die Landesgrenzen hinaus für Jugendpartizipation in der Politik. In Vorbereitung auf die nächsten Wahlen organisiert YIAGA nun an den Unis des Landes Workshops nach Harvard-Vorbild, bei denen Erfahrungen und Best-Practice-Beispiele ausgetauscht werden.

Während die Bewegung von vielen Nigerianern positiv gesehen wird, lautet die Kritik oft, dass Alter keine ausreichende Qualifikation sein könne, erklärt Mercy Abang. Die 35-jährige Journalistin aus Nigeria ist gerade für ihren Master in Business Administration nach Berlin gezogen. "Natürlich hat Alter nicht unbedingt etwas damit zu tun, ob jemand kompetent ist. Aber jemand junger kann eine ganz andere Energie mitbringen als eine 70-jährige Person", sagt Abang. Nigeria brauche dynamische und motivierte Anführer. Derzeit trete das Land auf der Stelle. Bis zur Wahl 2023 sollen neue Kandidierende in den Startlöchern stehen – so weit der Plan von "Not too young to run". (Alicia Prager, 23.11.2019)