Fast am gleichen Tag wie vor zehn Jahren entzündete sich in Wien ein kleines Protestflämmchen: Am 25. Oktober besetzten Architekturstudierende das ehemalige Café Nelson's im Innenhof der Technischen Uni. Nahezu ein historisches Datum, riefen Studierende doch am 29. Oktober 2009 die Besetzung des Audimax der Uni Wien aus, von dem aus sich ein Lauffeuer über ganz Europa ausbreitete. Zur Massenbewegung, wie es #UniBrennt wurde, sind die Proteste an der TU Wien aber noch nicht entflammt.

Der Grund für die Besetzung: Die Studierenden hätten zu wenige Arbeitsplätze, besonders zum Modellbauen. Die Aktivisten machten daraufhin das Gebäude zu ihrem Arbeits- und Aufenthaltsraum. Es stand seit August leer, zuvor wurde es vom Institut für Bauingenieurwesen genutzt. Ab Jänner sollen dort laut Rektorat Seminare stattfinden. Nach drei Tagen machte die Uni den Besetzern einen Vorschlag: Wenn sie das Gebäude räumten, erhielten sie Ersatzquartiere. Die Studierende wichen, denn sie wollten nicht langfristig besetzen, sondern mit konstruktivem Aktivismus Lösungen finden. Mittlerweile haben die Studierenden ihre Übergangsquartiere bezogen.

Das sagten die Besetzer Ende Oktober zum Platzmangel.
DER STANDARD

Doch mit diesen war das Besetzerkollektiv "Zeichensäle Nelson's" nicht zufrieden, als Protestaktion arbeiteten sie auf Biertischen vor der TU und machten mit Aktionen auf sich aufmerksam. Denn die zusätzlichen 130 Quadratmeter sind bis Dezember befristet und laut Kollektiv bei über 5.900 Architekturstudierenden ein Tropfen auf den heißen Stein.

Generell keine Leerstände

Josef Eberhardsteiner hat mit den Studierenden verhandelt. Er ist Vizerektor für Digitalisierung und Infrastruktur. Der kurzfristige Raummangel sei dadurch entstanden, dass in den bisherigen Arbeitsräumen derzeit eine Architekturausstellung stattfindet. Dass die Studierenden längerfristig mehr Platz wollen, erfuhr er erst später. Eberhardsteiner kennt auch den Hintergrund der verzwackten Situation: "Im Moment ist Raum Luxus, weil das Hauptgebäude in Etappen saniert wird – das belastet alle." Zwischenquartiere müssten jeweils für ein Drittel des Gebäudes gesucht werden. "Generell haben wir keine Leerstände", sagt Eberhardsteiner.

Das besetzte ehemalige Café Nelson's im Innenhof der TU Ende Oktober.
Foto: Zeichensäle Nelsons

In der Architektur, die im Hauptgebäude angesiedelt ist, sei die Raumsituation prekärer als in anderen Fächern. Insgesamt gebe es 3.760 Quadratmeter Lehr- und Projekträume, davon 2.700 Quadratmeter studentische Räume an drei Standorten. "Es ist nicht so, dass wir zum Modellbauen keine Räume vorgesehen haben", sagt Eberhardsteiner. Laut einer Aussendung des Besetzerkollektivs hätten aber nur "vier Prozent der Architekturstudierenden die Möglichkeit auf einen Arbeitsplatz an der Uni". Die Fakultät will eine Verdoppelung der Flächen.

Schon seit längerem werde mit der Fakultät an einer "objektiven Entscheidungsgrundlage gearbeitet, um den Bedarf festzustellen". Konkrete Zahlen könne der Vizerektor noch nicht nennen. Zudem beschäftigt sich das Projekt Univercity damit, Räume zu schaffen; jährlich stecke die Uni 90 bis 100 Millionen Euro in Gebäude.

Mit den Ersatzquartieren war das Kollektiv "Zeichensäle Nelson's" nicht zufrieden und starteten deshalb Protestaktionen. Manche lernten auf Biertischen vor dem Hauptgebäude der TU Wien.
Foto: APA

ÖH unterstützt Kollektiv

Für die ÖH, die das Kollektiv unterstützt, ist der Mangel an Lernräumen ein generelles, österreichweites Problem, erklärt Desmond Grossmann (Flö) vom Vorsitzteam im Gespräch mit dem STANDARD. Die Uni sei letztlich auch Lebensraum für viele Studierende. "Es fehlt an gut ausgestatteten Lernplätzen", erzählt Grossmann. Oft müssten Studierende in den Gängen ihrer Hochschule lernen, wo es an den Grundvoraussetzungen fehle: WLAN, ausreichend Tageslicht und Steckdosen. Lernplätze, sagt TU-Vizerektor Eberhardsteiner könnten an seiner Uni einfach generiert werden: "Man kann Seminarräume doppelt nutzen, als Lehrraum für Vortragende und Lernraum für Studierende." Er selbst habe sich einen Raum erfolgreich geteilt.

Die ÖH kann sich eine Kooperation mehrerer Unis vorstellen. So könnten etwa in Wien, Graz oder Linz, also in Städten mit verschiedenen Hochschulen, gemeinsame Räume für Studierende geschaffen werden, sagt Grossmann. Wie diese finanziert werden sollen? Als Erstes brauche es die Erhöhung des Hochschulbudgets von aktuell rund 1,5 Prozent auf zwei Prozent des BIP, damit die Unis neue Räume anmieten könnten. Auch an der TU Wien fordern die Studierenden mehr Geld für die Unis. Und mehr finanzielle Unterstützung für Studierende. Gleichzeitig wollen sie weniger Leistungsdruck und Verschulung.

Dafür vernetzt sich das Kollektiv auch mit Gruppen an anderen Unis. An der Uni Wien riefen auf Facebook unter dem Titel "Freies Denken braucht freie Räume" die Institutsgruppe Bildungswissenschaft sowie diverse Studienvertretungen zum Lernen im öffentlichen Raum "bei Tee und viel frischer Luft" auf. (Oona Kroisleitner, Selina Thaler, 21.11.2019)