Rem Koolhaas wurde 1944 in Rotterdam geboren, wuchs in Indonesien auf und erlangte weltweite Berühmtheit. Zu seinen bekanntesten Bauten zählen der Prada Flagship-Store in New York (2001), die niederländische Botschaft in Berlin (2002), die Casa da Música in Porto (2005), die Vertical Town in Rotterdam (2013) und der derzeit in Bau befindliche Axel-Springer-Campus in Berlin. 2000 wurde Koolhaas mit dem Pritzker-Preis ausgezeichnet.

Foto: Fabrizio Albertini

Sein erstes großes Werk war kein Haus, sondern ein Buch. Und zwar ein bis heute weltberühmtes. Delirious New York, 1978 in der Oxford University Press erschienen, seit Jahrzehnten vergriffen, machte das Delirium der wahrscheinlich großstädtischsten Großstadt der Welt schon auf den ersten Blick sichtbar: Auf dem Umschlag ist ein Bett zu sehen, darin liegen offenkundig postkoital, halb glücklich, halb haushoch erschöpft, das große Empire State Building und das etwas kleinere Chrysler Building, beide leicht mit einer Tuchent zugedeckt, über die Bettkante ein gebrauchtes Kondom drapiert, auf dem Nachtkästchen die Fackel der Freiheitsstatue, draußen vor dem Fenster das Hochhausmeer Manhattans.

"Megacitys habe ich immer schon geliebt“, sagt Rem Koolhaas, "aber diese Stadt hat es mir besonders angetan. Ich bin fasziniert von der Schönheit des New Yorker Straßenrasters, vor allem aber auch von der Dichte an unterschiedlichen Kulturen, an ekstatischen Architekturen.“

Und tatsächlich, in kaum einer anderen Stadt hat der heute 76-Jährige, der zu Beginn seiner Karriere als Journalist und Drehbuchautor arbeitete, so viele Projekte konzipiert wie hier: Lehmann Maupin Gallery, Astor Place Hotel, Ausstellungen, Shopdesign, diverse Hochhäuer, Masterpläne und Hochwasserschutzstrategien am Hudson River sowie den mittlerweile weltberühmten Prada Flagship-Store, in dem Koolhaas schon vor 20 Jahren viele Handlungsweisen des Online-Shoppings und des Smartphone-Zeitalters vorwegnahm. Derzeit arbeitet er an der Erweiterung des New Museum in der Bowery.

"Das klingt nach sehr vielen Projekten in New York“, sagt Koolhaas. "Aber man darf nicht vergessen, dass der Großteil dessen, was man als Architekt plant, niemals realisiert wird. Ich vermute, dass 80 Prozent all meiner Entwürfe im Papierkorb landen. Es gehört zu den wohlgehüteten Geheimnissen meines Berufs, dass Erniedrigung unser tägliches Brot ist. Es ist der Normalfall, in Ausschreibungen und Wettbewerben zu den Verlierern zu gehören und sich wie ein Radioprediger zu fühlen, dem man das Mikrofon abgedreht hat. In keinem anderen Beruf würde man solche Ressourcenverschwendungen akzeptieren!"

Ob das nicht frustrierend sei? "Nein. Man muss sich bloß damit arrangieren, dass das alles Ideen sind, die einen weiterbringen und die immerhin in Blogs und Büchern überleben.“

Bögen, Wellen und eine begrünte Dachterrasse: Auf dem Areal des Leiner-Möbelhauses in der Mariahilfer Straße in Wien plant das Office for Metropolitan Architecture (OMA) mit Rem Koolhaas ein Luxuskaufhaus unter der Dachmarke KaDeWe.
Foto: k18

Eine mehr als rosige Aussicht auf Realisierung indes hat Koolhaas, der sich selbst als Workaholic bezeichnet und zum Ausgleich zu seinem zeitraubenden Job fast täglich beim Schwimmen seine Längen zieht, bei seinem ersten geplanten Projekt in Österreich. Anstelle des alten Leiner-Möbelhauses in der Mariahilfer-Straße, durch das sich in den letzten Monaten die Abrissbagger durchgefressen haben, entsteht nun ein Nobelkaufhaus nach dem Vorbild des Berliner KaDeWe (Kaufhaus des Westens), das Koolhaas ebenfalls umgebaut und modernisiert hat. Diesmal jedoch nicht nur Verkaufsflächen, sondern auch mit Hotel und öffentlicher zugänglicher Dachterrasse.

Weltbüro

"Wir sind vergnügt, dass wir erstmals in Wien ein Projekt realisieren können“, sagte Ellen van Loon im Herbst 2019, als das siegreiche Wettbewerbsprojet der Öffentlichkeit vorgestellt wurde. Entworfen hat sie das Projekt gemeinsam mit ihrem damaligen Kollegen Ippolito Pestellini Laparelli.

Geplante Fertigstellung: Herbst 2024.
Foto: k18

Denn: Rem Koolhaas betreibt keine One-Man-Show, sondern ist längst schon Leiter eines riesigen Planungs- und Forschungsimperiums namens Office for Metropolitan Architecture (OMA) mit mittlerweile acht gleichberechtigten Partnern, die über den ganzen Erdball verstreut sind – in in Rotterdam, New York, Doha, Hongkong und Brisbane.

"Wir sehen das Gebäude nicht als Ikone, sondern freuen uns vielmehr über die große Chance, im historischen Herzen Wiens zu arbeiten“, erklärt OMA-Partnerin van Loon. "Mit diesem Projekt wollen wir die Einzigartigkeit dieser Stadt zur Geltung bringen. Der Mehrwert dieses Kaufhauses sollte daran gemessen werden, inwieweit es sich in das lokale Umfeld einfügt.“ Die Fertigstellung ist für Herbst 2024 vorgesehen. Die kolportierten Kosten lagen zu Beginn bei 300 bis 400 Millionen Euro. Über das aktuelle Baubudget hält sich die Signa bedeckt.

KaDeWe steht für Kaufhaus des Westens.
Foto: k18

Das Rezept jedenfalls könnte passen: An der Fassade ist das Bauwerk mit dutzenden Rundbögen und Hunderten gewellten und gewölbten Gläsern eingekleidet.

Auf dem Dach ist eine öffentlich zugängliche Dachterrasse mit offenen und gedeckten Grünbereichen und – wohlgemerkt – konsumationsfreien Flächen für alle vorgesehen. Bleibt zu hoffen, dass sich der linke urbane Geist des Architekten gegen die wirtschaftlichen Interessen der Signa Holding auch auch in der Realisierungsphase in den nächsten zwei Jahren durchzusetzen vermag.

Mangel an Mangel

"Ich empfinde es als Segen, einer Generation anzugehören, die Hunger erlebt hat“, erinnert sich Koolhaas, der erst in den Trümmern des kriegszerstörten Rotterdam und später im ländlichen Indonesien aufgewachsen ist. "Meine kindliche Vorstellung von Luxus war entsprechend bescheiden, und das ist bis heute so geblieben.

Der Architekt der großen Konzerne: Seit rund 20 Jahren arbeitet Rem Koolhaas für Prada. Dazu zählen Fashion-Shows, Flagship-Stores sowie die Fondazione Prada in Mailand, für die ein siebenstöckiger Turm errichtet und ein bestehender Altbau mit 24-karätigem Blattgold überzogen wurde.
Foto: Bas Princen, Agostino Osio

Der Mangel an Mangel, der heute vorherrscht, macht Menschen zu flatterhaften, reizsüchtigen Wesen, die vor lauter Wunscherfüllungsversuchen zu nichts Substanziellem kommen.“ Obwohl Koolhaas mit seinen Projekten vor allem Konzerne und wohlhabende Auftraggeber bedient, konnte er sich – so scheint es – eine Distanz zur Schickeria bewahren und begegnet seinen Auftraggebern mit verstecktem Humor.

Die Laufstege und Fashion-Shows für den italienischen Modekonzern Prada, die Koolhaas seit vielen Jahren designt, sind eine Mischung aus feinen Materialien und industrieller Brachialästhetik. Für die Fondazione Prada baute er in Mailand ein Museum, in dem er auf dem Gelände der ehemaligen Schnapsfabrik der Società Italiana Spiriti einen siebenstöckigen Turm errichten und eines der bestehenden Gebäude mit 24-karätigem Blattgold überziehen ließ.

Eine Fashion-Show für Prada.
Foto: Bas Princen, Agostino Osio

"Es ist ein hauchdünner Film, der nicht viel kostet, aber das Erscheinungsbild eines scheinbar bekannten Altbaus komplett verändert.“ Und in Doha, Katar, stellte er eine Nationalbibliothek in die Wüste, deren Wände und Bücherarchive so aussehen, als hätte jemand archäologische Fundgruben aus dem Erdboden gebuddelt.

Archäologische Ausgrabung – aber wo sind die Bücher? Einen gewissen Humor kann man Rem Koolhaas nicht absprechen. Im Bild: Qatar National Library in Doha.
Foto: Bas Princen, Agostino Osio

"In einem Punkt bin ich sehr dogmatisch“, sagt Rem Koolhaas, der 2000 mit dem Pritzker-Preis für Architektur ausgezeichnet wurde – und man kann nicht anders als schmunzeln: "Spektakuläres Design interessiert mich nicht. Mein Wunsch ist es vielmehr, eine nüchterne, funktionale und intelligente Architektur zu schaffen. Denn ganz ehrlich, wer braucht schon Extravaganz?“ (Wojciech Czaja, RONDO Open Haus, 25.8.2021)

Der Artikel erschien ursprünglich im Magazin RONDO-Openhaus und wurde aktualisiert.