Mikrotransaktionen in Videospielen sind in den vergangenen Jahren immer wieder ein heißdebattiertes Thema geworden. Die Finanzierung von Games, vorwiegend Multiplayerspielen, über Echtgeldbezahlungen für digitale Inhalte ist immer wieder Kritik durch Konsumentenschützer und Psychologen ausgesetzt.

Insbesondere die sogenannten "Lootboxen" geben immer wieder Grund zur Beschwerde. In den meist zufällig mit Inhalten bestückten "Kisten" sehen Beobachter einen Glücksspielmechanismus und warnen vor möglicher Suchtgefahr. Zudem wird Spieleherstellern immer wieder vorgeworfen, ihre Werke gezielt an Minderjährige zu vermarkten, etwa durch bunte, "niedliche" Grafik. Befeuert werden diese Bedenken regelmäßig durch Vorfälle, bei denen Kinder und Jugendliche für hohe Kreditkartenabrechnungen und entrüstete Eltern sorgen.

In verschiedenen Ländern wurden bereits gesetzliche Einschränkungen vorgenommen. Die belgische Glücksspielkommission spricht sich gar für ein EU-weites Verbot aus. Lootboxen und ähnliche Mechanismen sind Bestandteil von Games wieBrawlstars und PUBG Mobile oder der Smartphone-Umsetzung von Mario Kart, die von hunderten Millionen Menschen weltweit gespielt werden. Auch beim Dauerbrenner Fortnite waren sie bis vergangenen Jänner im Angebot.

Der STANDARD hat mit Birgit Ursula Stetina gesprochen. Die klinische Psychologin ist Expertin für Glücksspielmechanismen, erforscht die Beziehung zwischen Mensch und Technik und steht der psychologischen Ambulanz der Sigmund-Freud-Privatuniversität in Wien vor.

Strukturelle Ähnlichkeiten zu Glücksspiel

Laut aktueller Forschungslage ist umstritten, ob sich die zufallsbasierten Lootboxen von "reinem" Glücksspiel (ausschließlich glücksabhängige Spiele wie etwa Roulette) abgrenzen lassen, sagt Stetina. Ebenso gibt es keinen Konsens darüber, ob sie ein ähnliches Suchtverhalten auslösen können. Die Psychologen Aaron Drummond und James Sauer von der neuseeländischen Massey University haben in einer Untersuchung verschiedene Lootbox-Systeme mit dem Kriterienkatalog verglichen, den der Forscher Mark Griffiths für die Einordnung von klassischem Glücksspiel aufgestellt hat.

Sie kamen zu dem Schluss, dass es starke strukturelle Ähnlichkeiten gibt. Es sei daher auch erwartbar, dass dies vergleichbare problematische Verhaltensweisen – etwa die massive Verlängerung der Spielzeit – auslösen kann, wie sie der Spielsucht zugeordnet werden. Als erwiesen gilt ein solcher Zusammenhang allerdings nicht. Die Forscher fordern, dass Gesetzgeber das Mindestalter für Spiele mit derlei Mechanismen an jenes für Glücksspiel angleichen.

Das Problem mit Lootboxen, exemplarisch dargestellt am Fall des Spiels "Coin Master".
NEO MAGAZIN ROYALE

Spieler geben mehr für Lootboxen aus

Eine großangelegte Untersuchung von Gamern durch zwei Wissenschafter der University of York und der York St. John University ergab ebenfalls einen statistischen Zusammenhang zwischen dem Echtgeldbetrag, den Spieler für Lootboxen ausgaben, und dem Grad ihrer Glücksspielsucht. Dieser Zusammenhang war signifikant stärker als zwischen problematischem Spielverhalten und "normalen" Ingame-Käufen, bei denen die Teilnehmer vor dem Kauf genau wussten, was sie erhalten.

Auch das deutet auf problematische Auswirkungen des Glücksspielcharakters der Lootboxen hin. Nicht geklärt ist allerdings, ob Lootboxen auch ein "Einstieg" in problematisches Glücksspiel sein können oder ob Menschen, die bereits entsprechendes Verhalten zeigen, von ihnen schlicht mehr angezogen werden.

Das Problem der jungen Zielgruppe

Dass einige Entwickler ihre Games mit solchen Mikrotransaktionen gezielt an Minderjährige vermarkten, sieht Stetina als "Unterstellung" an. Die Spiele würden sich "zwangsweise" auch an jüngere Zielgruppen richten, seien doch speziell Mobile Games vor allem bei Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen beliebt. "Eher scheint es unter Umständen in Kauf genommen zu werden", dass jüngere Menschen Bekanntschaft mit solchen Mikrotransaktionen machen, folgert die Expertin. Eine repräsentative Erhebung der australischen Regierung im Jahr 2018 verriet, dass jeder Dritte im Alter zwischen acht und 17 Jahren in den vergangenen zwölf Monaten Lootboxen in Games gekauft hatte.

Ein Aspekt ist auch Gruppendruck. Die Anpassung der eigenen Spielfigur durch kosmetische Gegenstände ("Skins") ermöglicht es Gamern, sich selbst, aber auch ihre Zugehörigkeit zu einer Gruppe auszudrücken.

Lootboxen im Onlineshooter "Overwatch".
Foto: Overwatch

Verlockungen

Eine besondere Problematik stellen Pay2Win-Mechaniken dar, die es Spielern ermöglichen, sich gegen Zahlungen spielerische Vorteile zu erkaufen. "Sie sind somit verbunden mit positiver Verstärkung. Das Belohnungssystem der Spielerinnen wird kurzzeitig aktiviert, was zu exzessivem Spielverhalten und immer größer werdenden Kaufbeträgen führen könnte", erklärt Stetina.

"Bedenkt man noch, dass man bei E-Sport-Turnieren heutzutage bis zu 30 Millionen US-Dollar Preisgeld gewinnen kann, ist die Verlockung die eigene Konkurrenzfähigkeit durch den Einsatz von Mikrotransaktionen zu erhöhen, wahrscheinlich nicht allzu klein."

Eltern sollten sich besser informieren

Die Psychologin empfiehlt Eltern, beim Kauf von Spielen die Pegi-Altersempfehlung zu beachten und einen altersgemäßen Rahmen für den Konsum von Games festzulegen. "Ingame-Käufe sollten mit den Kindern und Jugendlichen prinzipiell explizit besprochen werden. Auch aus dem Grund, dass es zumeist die Eltern sind, die für die Transaktionen bezahlen."

Sie fordert die Erziehungsberechtigten auch auf, sich besser über Gaming zu informieren, da man schwer mit seinen Kindern über Inhalte sprechen könne, die man nicht kenne. Auch über die Grenzen und Möglichkeiten des E-Sports sollten sie Bescheid wissen – nicht nur zur Eingrenzung von problematischem Verhalten, sondern auch um mögliche Begabungen zu fördern.

Idealerweise sollte man im familiären Kreis über die Chancen und Risiken von Games – vom Unterhaltungsaspekt und neuen sozialen Kontakten bis hin zu Alltagsflucht und Gruppendruck – reden. Spielverbote sind ihrer Ansicht nach "nicht glaubwürdig", denn dafür seien Videospiele längst zu stark unter jungen Menschen etabliert. (Georg Pichler, 21.11.2019)

Update, 16:25 Uhr: In "Fortnite" wurden zufallsbasierte Lootboxen im Jänner 2019 entfernt. Dies wurde im Text ergänzt.