Zum Schutz Österreichs wurde auf dem Wiener Kongress der Bau einer Bundesfestung in Ulm beschlossen. Den Grund dafür lieferte die verlorene Schlacht von Elchingen. Eine als traumatisch empfundene Situation ist aber nicht der einzige Aspekt, der die größte europäische Festung des 19. Jahrhunderts mit antiken Vorläufern verbindet.

Rund 8.000 österreichische Soldaten trafen am 14. Oktober 1805 bei Elchingen nahe Ulm auf eine mehr als doppelt so große französische Übermacht. Einen Tag später hatten die napoleonischen Truppen die Österreicher in den mittelalterlichen Befestigungen von Ulm eingeschlossen, wo diese sechs Tage später kapitulierten. Damit war eine überaus wichtige Hürde für Napoleon auf dem Weg nach Wien genommen. Anfang Dezember standen die Franzosen dann vor Austerlitz, besiegten dort nicht nur Österreicher, sondern auch Russen und besiegelten mit ihrem Sieg das Ende des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation.

Knapp zehn Jahre später zerbrachen allerdings auch die hegemonialen Träume Napoleons im heute belgischen Waterloo, und auf dem Wiener Kongress wurde die Neuordnung Europas eingeläutet. Dabei hatte man in Wien Ulm-Elchingen nicht vergessen. Während sich Preußen und die deutschen Kleinstaaten vor allem auf die Sicherung des Rheins durch Festungen konzentrierten, beharrte Österreich für den Fall eines Durchbrechens der Franzosen auf dem Bau einer Festung im rückwärtigen Raum. Ein erneuter Angriff auf Wien sollte diesmal wirkungsvoll schon weit vor den Toren der Stadt gestoppt werden. Das Ergebnis war, dass der Bau einer gigantischen Festung des Deutschen Bundes bei Ulm beschlossen wurde.

Das größte Festungsensemble Europas

Die Verzögerung von Großbauprojekten ist nicht erst eine Erscheinung unserer Tage. So wurde der Grundstein der Bundesfestung 1844 gelegt, die Fertigstellung erfolgte jedoch erst 1859. Die riesige Anlage für bis zu 100.000 Soldaten war nach neuesten militärtechnischen Vorgaben mit gewinkelten Bastionen, mehrgeschoßigen, mit Artillerie bestückten Kasemattenbauten, vorgelagerten Gräben sowie zahlreichen Einzelforts ausgestattet. Wegen der langen Bauzeit waren allerdings aufgrund der rasanten militärtechnischen Entwicklung auch zahlreiche Anpassungen notwendig geworden.

Plan der Ulmer Bundesfestung nach ihrer Fertigstellung 1859.
Foto: StA Ulm, C 10 Plan Nr. 95

Besonders interessant sind auch einige Aspekte, die sich aufgrund der lückenlosen Dokumentation von Planung, Bauvorgängen und weiteren Hintergründen der Festung beleuchten lassen. So kennen wir die genaue Zahl der am Bau beteiligten Arbeiter, die 1848 mit 10.000 Mann, darunter spezielle Bauleute aus Südtirol, ihren Höhepunkt erreichte. Wir kennen die Höhe der Entlohnung für unterschiedliche Tätigkeiten und wissen, dass für die "Schanzer von Ulm" eine Unfall- und Krankenversicherung eingerichtet wurde. Hinter dieser Fürsorge stand der preußische Festungsbaudirektor Oberst Moritz Karl Ernst von Prittwitz und Gaffron. Er zeichnete für das gesamte Festungsbauprojekt verantwortlich.

Da sich die Festung allerdings über die Donau hinweg erstreckte, berührte sie sowohl württembergisches als auch bayerisches Gebiet, weshalb es auf beiden Seiten eine zusätzliche Bauleitung geben musste. Diese Zweiteilung führte zu einigen Kuriosa: Während auf Ulmer Seite heller schwäbischer Kalkstein Verwendung fand, wurden die Festungsbauten auf Neu-Ulmer Seite aus roten Ziegeln errichtet. Auf der bayerischen Seite hatte dieser Umstand weitere Folgen. So sorgten die Entwicklung der Ziegelindustrie und die damit einhergehende Vergrößerung der Bevölkerung überhaupt erst dafür, dass Neu-Ulm das Stadtrecht erhielt. Ein weiterer Nebeneffekt bestand darin, dass der Durst der Festungsarbeiter dafür sorgte, dass Ulm 1850 über die größte Kneipendichte in Württemberg verfügte.

Bundesfestung Ulm: das aus weißem Kalkstein errichtete Ehinger Tor auf Ulmer Seite.
Foto: Oliver Hülden
Bundesfestung Ulm: das aus roten Ziegeln errichtete Memminger Tor auf Neu-Ulmer Seite.
Foto: Oliver Hülden

1866 erfolgte mit der Auflösung des Deutschen Bundes der Abzug der österreichischen Truppen aus Ulm, worauf erste Rufe nach einem Rückbau der Festung laut wurden. Diese hatte sich nämlich trotz ihrer Größe zu einem regelrechten Korsett für die sich rasant entwickelnden Städte Ulm und Neu-Ulm entwickelt, weshalb um die Jahrhundertwende einzelne Mauerabschnitte niedergerissen wurden. Der Festungsstatus endete schließlich 1938, worauf ein Funktionswandel eintrat. Einen Tiefpunkt stellt dabei die Einrichtung eines der ersten Konzentrationslager für Oppositionelle im Fort Oberer Kuhberg durch die Nazis dar. Nach dem Weltkrieg dienten Teile der Festung dann als Unterkunft für Heimatvertriebene und Flüchtlinge. Andere Teile sind nach wie vor in militärischer Hand, wobei die zivile Nutzung, auch in der Form von Parkanlagen und kulturellen Einrichtungen, darunter ein Förderverein, die Oberhand gewonnen hat.

Von der Neuzeit in die Antike

Es ist ein weiter Bogen, der vom 19. Jahrhundert in die Antike zu spannen ist, aber anhand der Bundesfestung von Ulm lassen sich durchaus Erkenntnisse im Hinblick auf die Befestigungen älterer Epochen gewinnen. Dazu gehört angesichts der detaillierten neuzeitlichen Überlieferungssituation zunächst einmal das generelle Bewusstsein, wie fragmentarisch demgegenüber unser Wissen über das antike Befestigungswesen ist. Nur allzu gerne würden wir auch für die Antike die Planungen, Bauvorgänge, Abrechnungen oder den Alltag der am Bau solcher Anlagen beteiligten Personen so minutiös nachvollziehen können wie für unser Ulmer Beispiel.

Stattdessen hält das Studium antiker Befestigungen zahlreiche Fallstricke bereit: Ein Wechsel der Bauweise bei ein und derselben Anlage wird beispielsweise gewöhnlich als Hinweis auf zeitlich zu unterscheidende Bauphasen gewertet. Auch wenn die weiter oben erwähnte unterschiedliche Bauausführung auf Ulmer beziehungsweise Neu-Ulmer Seite sicherlich auch für die Neuzeit eine Besonderheit darstellt, so kann man doch darüber spekulieren, ob man ohne entsprechende Dokumentation in den Urkunden auf württembergische beziehungsweise bayerische Befindlichkeiten als Hintergrund gekommen wäre. Vielmehr wäre doch eher die Vermutung nahegelegen, von zwei zeitlich zu trennenden Ausbauphasen auszugehen.

Andere mitunter von Archäologinnen und Archäologen betriebene Gedankenspiele betreffen Versuche, einzelne Bauhütten voneinander zu scheiden oder einzelne Bauabschnitte aufgrund besonderer Spezifika sogar mit einem speziellen Personenkreis in Verbindung zu bringen. So kennen wir aus der antiken Literatur etwa ethnisch differenzierte Spezialisten, die an der Errichtung von Großbauten beteiligt gewesen sind. Aber lässt sich deren Einsatz anhand bestimmter baulicher Merkmale tatsächlich nachweisen? Der Blick auf die am Bau der Ulmer Bundesfestung beteiligten Südtiroler Bauleute, deren konkrete Zutaten an keiner Stelle der Anlage zu erkennen sind, mag hier freilich zur Vorsicht mahnen.


Syrakus, Fort Euryalos. Blick auf die sogenannte Fünf-Turm-Batterie mit vorgelagertem Graben und Ausfallpforten.
Foto: ÖAW-ÖAI/Leontio-Projekt

Für viele antike Befestigungen stellt ohnehin schon eine genauere Datierung das größte Problem dar, bildet sie doch die Voraussetzung für jegliche weitere Einordnung und Interpretation. Vielfach ist der Archäologe hier auf eine mitunter hochgradig subjektive Einschätzung von Mauertechniken und Mauerstilen angewiesen, die teilweise Spielräume von fünfzig Jahren oder noch mehr erlaubt. Den Bau von Befestigungen mit einem bestimmten historischen Szenario zu verbinden gestaltet sich in solchen Fällen dann als überaus schwierig – und es darf angemerkt werden, dass es die Masse der Fälle ist. Trotz solcher Schwierigkeiten existieren glücklicherweise einige Fälle aus der Antike, in denen die Überlieferungssituation ein schlüssiges Bild zu zeichnen erlaubt. Ein Beispiel dafür stellt das griechische Syrakus auf Sizilien dar.

Von Ulm ins antike Syrakus

Um die Mitte des zwischen Athen und Sparta sowie ihren Bündnern erbittert ausgetragenen Peloponnesischen Krieges war auch Sizilien zum Kriegsschauplatz geworden. Eine athenische Expedition versuchte 415 v. Chr. die Stadt durch Belagerung in die Knie zu zwingen. Eine entscheidende Rolle dabei spielte das oberhalb der Stadt gelegene Geländeplateau Epipolai. Dieses war bis dahin unbefestigt, und die Athener, die den strategischen Wert dieser Position erkannt hatten, versuchten durch seine Besetzung die Stadt vom Hinterland abzuschneiden. Wenn nicht spartanische Truppen eingegriffen und das Plateau den Athenern entrissen hätten, wäre es unweigerlich zur Katastrophe für Syrakus gekommen. So aber endete die Belagerung mit einer vernichtenden Niederlage Athens, sie hinterließ aber auch deutliche Spuren bei den belagerten Einwohnern der Stadt.

Kaum war die athenische Gefahr nämlich gebannt, machte man sich daran, die Konsequenzen aus dieser offensichtlich traumatischen Erfahrung zu ziehen – eine Vorgehensweise, die stark an die Reaktion der Österreicher auf die Folgen der Schlacht von Ulm-Elchingen erinnert. Dionysios I., der sich in der Folge zum Tyrannen von Syrakus aufschwang, machte sich sofort daran, die Epipolai-Hochfläche zu befestigen. Dabei scheute er weder Mühen noch Kosten. So berichtet der antike Historiker Diodor, Dionysios habe 60.000 Arbeiter und 6.000 Ochsengespanne für die Arbeiten eines ersten, 5,7 Kilometer langen Mauerabschnitts herangeschafft, welche die Arbeiten in nur 20 Tagen vollendet hätten. Das mag übertrieben sein, bezeugt aber die Eile, mit der man vorging.

Spätklassisches oder frühhellenistisches (?) Mauerwerk in Leontion, Peloponnes.
Foto: Oliver Hülden

Dionysios legte zudem den Grundstein für eine Festung, die zu den monströsesten militärischen Anlagen gehört, die in der Antike geschaffen wurden. Am Kopf des Epipolai-Plateaus errichtete er die Festung Euryalos, die von seinen Nachfolgern zu einer komplexen Anlage mit Katapultstellungen und unterirdischen Laufgräben ausgebaut wurde. Anders als die Bundesfestung von Ulm spielte diese Anlage in einer späteren Auseinandersetzung eine gewichtige Rolle. 212 v. Chr. standen römische Truppen vor Syrakus. Die abschreckende Wirkung der waffenstarrenden Festung, die von Söldnern gehalten wurde, muss so groß gewesen sein, dass die Römer zwar die Epipolai kurzfristige besetzten, nicht aber Euryalos selbst angriffen. Letztendlich fiel die Festung doch, allerdings nicht durch Waffengewalt. Vielmehr führte Bestechung zur Aufgabe der Söldner, woraufhin die Römer Syrakus von der Hochfläche aus erstürmen konnten. Die Ulmer hatten dagegen mehr Glück, da ihnen ein unmittelbarer Angriff auf ihre Festung erspart geblieben ist. (Oliver Hülden, 21.11.2019)